Der Finger Gottes
Tüten auf dem Küchentisch ab.
»Na und?« war die lapidare Reaktion von Georg Pickard.
»Na und, na und?!« Sie wedelte aufgeregt mit den Armen. »Mehr fällt dir dazu nicht ein? Wenn das übelste Stinktier von ganz Waldstein besinnungslos aus einer Kneipe getragen wird?«
»Reg dich nicht so auf, das bekommt dir nicht. Kümmere dich lieber ums Essen statt um Scherer. Ich habe Hunger.«
»Dauert noch eine halbe Stunde. Viel gibt es aber heute nicht. Bei dem Wetter koche ich nicht. Belegte Brote müssen reichen. Sind die Jungs schon zurück?« Sie hatte die Lebensmittel im Kühlschrank verstaut, nahm die Schürze vom Haken und band sie sich um.
»Nein, und vor elf oder zwölf Uhr brauchst du gar nicht mit ihnen zu rechnen. Wenn sie schon mal in Nürnberg sind,wollen sie auch was erleben. Vielleicht kommen sie auch erst morgen früh.«
»Na hör mal, die werden doch wohl die Nacht nicht . . .«
»Du regst dich schon wieder auf über Dinge, die dich eigentlich gar nichts mehr angehen«, fiel er ihr ins Wort. »Bernd und Dieter sind keine kleinen Kinder mehr, denen man ein Lätzchen umbindet. Und sie tragen auch keine Windeln mehr, selbst aus der Pubertät sind sie längst heraus, auch wenn du das offensichtlich noch immer nicht wahrhaben möchtest. Sie sind gestandene Männer. Und gestandene Männer können tun und lassen, was sie wollen!«
»Und wenn sie tausendmal gestandene Männer sind, deswegen müssen sie nicht gleich ein Lotterleben führen!« sagte sie mit sich überschlagender Stimme.
»Sie führen kein Lotterleben! Und wenn es dich interessiert, ich würde es an ihrer Stelle genauso machen . . . In Waldstein gibt es . . .«
»Pickard, du gehst entschieden zu weit!« Wenn sie zornig auf ihn war, nannte sie ihn grundsätzlich nur beim Nachnamen. Und in letzter Zeit nannte sie ihn oft beim Nachnamen. Früher hatte er darüber noch lachen können, dann war Zorn daraus geworden, mittlerweile war es ihm nur noch egal. Wie so vieles, was sie dachte oder tat. Gut, sie war seine Frau, seit einer Ewigkeit waren sie verheiratet, aber auf eine eigentümliche Weise war sie ihm fremd geworden. Was auch immer die Gründe sein mochten, vielleicht ihre vorgegebene Frömmigkeit, die er längst als bloße Frömmelei entlarvt hatte, oder ihre gespielte Freundlichkeit anderen gegenüber, oder ihre häufig so bissigen, verletzenden Bemerkungen, wenn sie mit ihm sprach; er empfand schon lange keine Liebe mehr für sie, in seinen Gefühlen hatte er sich von ihr distanziert. Er stand auf der einen Seite einer tiefen, breiten Schlucht, sie auf der anderen,und er glaubte nicht mehr daran, daß es eine Möglichkeit gab, je wieder zueinanderzufinden.
Er liebte sie nicht mehr, er mochte sie höchstens noch. So, wie man einen guten Bekannten mag, ein gutes Buch, wie ein Bruder den anderen. Früher, da hatte er sie geliebt, nur, wann genau und wie lange das her war, vermochte er nicht mehr zu sagen. Als sie jung waren – wann war das? –, da hatten sie sich heiß und stürmisch geliebt, konnten sie nicht genug voneinander bekommen. Aus dem Sturm war ein laues Lüftchen geworden, kaum mehr als ein Windhauch, und nur noch ein winziger Schritt bis zur vollkommenen Windstille.
Gründe für ihre Veränderung? Vielleicht weil sie »nur« zwei Söhne zur Welt gebracht hatte, sie sich aber unbedingt noch eine Tochter gewünscht hatte. Ein Anlauf nach dem anderen, immer und immer wieder, aber Esther war nicht mehr schwanger geworden. Und obgleich sie es nie direkt ausgesprochen hatte, fühlte er, daß sie ihm die Schuld für die weitere Kinderlosigkeit zuschob.
Esther bereitete das Essen, während Georg in die noch immer wie neu wirkende Kühlhalle ging, um die Temperatur zu überprüfen. Null Grad Celsius. Die alte Halle war vor nicht ganz sieben Jahren zusammen mit der Werkstatt durch einen Kurzschluß bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Damals dachte er, dies wäre das Ende für ihn und seine Familie, denn die Versicherung hatte nur einen Bruchteil des Schadens gezahlt, da sich herausgestellt hatte, daß Georg weit unterversichert gewesen war. Aber er hatte Hilfe bekommen, hatte es geschafft, es war weitergegangen.
Er warf einen kurzen Blick auf den Sarg, in dem Maria Olsen lag, die Augen geschlossen, die Hände über der Brust gekreuzt, ein überirdisches Lächeln hatte sich in die blassen Lippen gemeißelt. Nach dem Kontrollgang kehrte er in die Küche zurück, Esther hatte die Brote fertig und saß bereits am Tisch.»Stell
Weitere Kostenlose Bücher