Der Finger Gottes
das.«
»Dann möchte ich, daß er auch auf Csilla aufpaßt, wenn sie schläft.«
»Er paßt bestimmt auch auf Csilla auf. Und jetzt gute Nacht.«
Sarah wartete, bis Josephine eingeschlafen war, zog ihren Arm unter Josephines Kopf hervor und stand auf. Sie gingzum Sekretär, zog die oberste Schublade auf, holte die Schachtel Gauloises Blondes heraus und zündete sich eine Zigarette an.
Dies war wieder einer jener Momente, in denen sie sich dafür haßte, eine Vandenberg geworden zu sein, im entscheidenden Moment nicht auf diese mahnende innere Stimme gehört zu haben, die sie so nachdrücklich gewarnt hatte, Martin zu heiraten. Und das alles nur, weil sie schwanger gewesen war!
Seit der Heirat war sie gefangen in einem goldenen Käfig, ihr Leben bestimmt von einer Menge Verhaltensregeln, die man ihr auferlegt hatte. Unter anderem war ihr sehr deutlich untersagt worden, auch nur einen Fuß auf Waldsteins Straßen zu setzen. Als ein oder eine Vandenberg tat man dies nicht, außer zur alljährlichen Feier am 15. Mai. Aber auch dann nur in angemessener Distanz zum »Pöbel«. Geschäfte, Einkäufe und sonstiges waren in Nürnberg, München, Paris oder sonstwo zu erledigen, nicht aber in Waldstein.
Ihr grauste bereits jetzt vor dem Tag, an dem Josephine eingeschult werden würde, in einer Privatschule am Bodensee, weit weg von ihr, und nur am Wochenende nach Hause kommen würde. Nicht einmal mehr zwei Jahre, und sie hätte die einzig wirkliche Bezugsperson fast gänzlich verloren, denn es gab niemanden, den sie mehr liebte als Josephine; sie war der einzige Mensch, für den sie lebte und für den zu leben sich lohnte.
Hätte sie nur Martins Familie vorher besser kennengelernt! Sie hätte Josephine genausogut allein zur Welt bringen und großziehen können. Sie war zwar nur eine einfache Sekretärin, doch ihr Leben wäre mit Sicherheit ruhiger und friedlicher verlaufen, ohne diese in letzter Zeit so quälenden Magenschmerzen, diese ständige Übelkeit, die häufigen Migräneattacken. Sarah wußte, daß ihre Seele ihren Körperkrank machte, und genauso wußte sie, daß ihre Beschwerden erst aufhören würden, wenn sie frei war.
Wie freundlich sie doch damals alle gewesen waren, wie sie sich angeblich auf ihre neue Schwiegertochter gefreut hatten und noch mehr auf das Enkelkind! Sie hatte die Heuchelei nicht bemerkt. Oder wollte sie nicht bemerken. Sie sah nur das herrliche Haus, den Reichtum, das angenehme Leben. Doch noch am Tag der Hochzeit erfuhr sie, warum Martin sie geheiratet hatte – sie hatte Kenntnis von Geschäftsgeheimnissen, die, hätte sie auch nur einen Bruchteil davon ausgeplaudert, ihn und die Familie in ärgste Bedrängnis hätten bringen können.
»Glaube bloß nicht, daß ich dich liebe, diese Heirat ist nur zu meinem Besten . . .« Er hatte sie, während er ihr diese Worte ins Gesicht schleuderte, kalt angesehen, zynisch gelächelt und gesagt: »Bilde dir nur nichts darauf ein, daß du jetzt den Namen Vandenberg trägst, du wirst niemals ein wirklicher Bestandteil unserer Familie sein. Ich hoffe, du hast das kapiert. Und jetzt lächle, Schatz, zeig, wie glücklich du bist; du willst doch sicherlich nicht, daß ich böse werde, oder? Und ich kann sehr böse werden. Also lächeln, immer lächeln, damit die anderen sehen, wie gut es dir geht.« Dann hatte er sie in den Arm genommen und geküßt, Fotos wurden geschossen. Und Sarah war von einer Sekunde zur andern in ein tiefes Loch gefallen. Das war vor mehr als fünf Jahren gewesen.
Je mehr Zeit verging, desto öfter dachte sie an Scheidung, aber eine Scheidung hätte bedeutet, Josephine zu verlieren. Martin hatte ihr damit gedroht, als sie einmal auf dieses Thema zu sprechen gekommen war. Er hatte ein Glas Cognac in der Linken, hatte nur gegrinst und gemeint, er würde mit Vergnügen in die Scheidung einwilligen, vorausgesetzt, Josephine bliebe in Waldstein und damit in seiner Obhut.
»Was liegt dir denn an ihr?« hatte sie ihn gefragt. »Du kümmerst dich doch überhaupt nicht um das Kind, Josephine interessiert dich doch einen Dreck. Du sprichst ja kaum einmal mit ihr! In Wirklichkeit willst du doch nur mich verletzen!«
Darauf hatte er sie nur links und rechts geohrfeigt, heftiger denn je zuvor, anschließend hatte er sie vergewaltigt. Es waren nicht so sehr die Schläge und die blutende Nase, was schmerzte, es war die Gewißheit, im Ernstfall das zu verlieren, was ihr im Leben am meisten bedeutete.
Seitdem grübelte sie Tag für Tag
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