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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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war von einem Sternenteppich überzogen, der Vollmond stand etwa dreißig Grad über dem südwestlichen Horizont. Das Radio spielte eine Mischung aus Pop und Countrymusik. Der Moderator war bemüht, die Hörer mit Witzchen bei Laune zu halten. Bernd schlief ein.
    Sie hatten mehr als Dreiviertel der Strecke zurückgelegt, als mitten in einem Bruce-Springsteen-Song eine Sondermeldung verlesen wurde. »Tut mir leid, Freunde der Nacht, wenn ich den Boß hier so plötzlich unterbrechen muß, aber mir ist soeben eine dringende Meldung hereingereicht worden. Wie das Wetteramt Nürnberg mitteilt, muß in dieser Nacht für ganz Oberfranken mit schweren Unwettern gerechnet werden. Vereinzelt haben sich bereits heftige Gewitter gebildet. Diese Warnung gilt besonders für das Gebiet Hof, Kulmbach, Bayreuth, Wunsiedel. Weiter heißt es, daß aufgrund der komplizierten Wetterlage unter Umständen sogar mit der Ausbildung von Windhosen zu rechnen ist. Deshalb bitten wir alle Hörer, das Radio angeschaltet zu lassen, wir werden Sie über die weitere Entwicklung informieren. Und sollten Sie nicht alles mitbekommen haben, dann wiederhole ich das Ganze nach dem nächsten Song. Aber noch was für diejenigen, die mit dem Begriff Windhose nichts weiter anfangen können, in Amerika nennen sie so etwas in der Regel Tornado. Und jetzt ist es genau 0.46 Uhr, und wir machen weiter mit Kenny Rogers und seiner First Edition und ihrer alten Schnulze ›Ruby, don’t take your love to town‹.«
    Dieter hatte genau zugehört. Mit jedem Wort des Moderators hatten sich seine Muskeln mehr angespannt. Er boxte Bernd so heftig in die Seite, daß der wie von der Tarantel gestochen von seinem Sitz hochfuhr. »He, Mann, was ist los? Spinnst du?«
    »Eben ist ’ne Tornadowarnung durchgegeben worden!«
    »Na und, was interessiert mich das, Blödmann?! Außerdem, was iss’n das überhaupt?«
    »Es sollte dich aber interessieren, Brüderchen. Es geht nämlich auch uns was an. Ein Tornado ist was verdammt Unangenehmes.«
    »Na und?« fragte Bernd sichtlich genervt.
    »Na und, na und! Könnte immerhin sein, daß auch unser kleines Städtchen betroffen ist«, sagte Dieter grinsend. »Hab noch nie einen erlebt, Tornado, mein ich.«
    »Was, ist das dein Ernst? Sag mal, du tickst wohl nicht ganz richtig?! Weißt du eigentlich, was ein Tornado ist? Ich hab mal von einem gehört, der hat von allen Häusern gerade mal das Fundament stehengelassen! Und du tust so, als wäre es das Geilste, mal einen mitzuerleben!« Bernd tippte sich an die Stirn.
    »Mann, stell dich nicht so an! Ist doch bestimmt ein Heidenspaß!«
    »Du hast eben keine Ahnung, Arschloch! Außerdem leben auch unsere Eltern dort. Also überleg dir gefälligst, was für ’n Scheiß du da schwafelst!«
    »Reg dich ab, Mann! Siehst du da hinten das Wetterleuchten?«
    »Ist ja wohl nicht zu übersehen«, brummte Bernd.
    »Ob es was damit zu tun hat?«
    »Weiß nicht. Kann sein. Jedenfalls stimmt die Richtung. Ob unsere Eltern die Warnung auch gehört haben?«
    Dieter zuckte mit den Schultern. »Wäre nicht schlecht, oder? Vielleicht sind wir ja rechtzeitig zu Hause, um alles mitzuerleben.«
    »Du willst es wohl unbedingt drauf ankommen lassen, was?«
    »Quatsch, es geht mir mehr um unsere alten Herrschaften.«
    Dieter erhöhte die Geschwindigkeit. Ein Gefühl, eine innereStimme befahl ihm, Gas zu geben. Ihm wurde mulmig. Hing es mit dem unheimlichen, lautlosen Wetterleuchten vor ihnen am Horizont zusammen oder mit dem Wind, der mit jedem Kilometer, den sie sich Waldstein näherten, stärker gegen das Auto drückte? Sie mußten die Fenster schließen.
    »Na, willst du immer noch einen
richtigen
Tornado erleben? Könnte nämlich sein, daß dein Wunsch in Erfüllung geht.«
    »Halt’s Maul, Idiot! Ich hab das doch gar nicht so gemeint!«
    »Dann halt dich ran, damit wir’s noch schaffen. Es liegt an dir.«
    Sie fuhren die Abfahrt Münchberg Süd ab, kamen nach einer Viertelstunde am Steinbruch, der Weberei und der Spinnerei und den Feldern vorbei. Es war 1.09 Uhr, schon sahen sie die Lichter von Waldstein in der Ferne blinken, als ein aus den Tiefen des Universums kommender Blitz wie ein von Götterhand geschleuderter Speer zur Erde niederfuhr und Waldstein mit einem Mal ausblies. Wo eben noch Lichter den Weg wiesen, vollkommene Dunkelheit. Die einzige Lichtquelle waren die Scheinwerfer des Wagens.
    Bernd hatte es gesehen, die Augen weit aufgerissen, den Mund halb geöffnet, die Hände

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