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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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aufrecht in ihrem Bett in ihrem geräumigen, behaglich mit Naturholz eingerichteten Zimmer, die Beine angezogen, ein Buch auf den Knien. Ihr Mann Martin war am frühen Abend mit dem Privatflugzeug nach München geflogen, angeblich um wichtige Geschäfte zu erledigen. Das war natürlich gelogen, aber es machte ihr nichts aus. Weder daß er log, kümmerte sie, noch daß er unzählige Affären mit unzähligen anderen Frauen hatte, selbst daß ihm ab und zu die Hand ausrutschte und er sie ohrfeigte, nahm sie hin.
    Sie spitzte die Lippen, warf die Bettdecke zur Seite, sagte:
    »Also gut, dann schläfst du eben ausnahmsweise bei mir.«
    Josephine kuschelte sich dicht an sie. Sie zitterte. »Mami, ich habe Angst.«
    »Angst? Wovor?«
    »Draußen. Es donnert andauernd, und die Blitze sind so hell!«
    »Davor brauchst du keine Angst zu haben. Wir leben in einem sehr großen und sehr festen und sehr sicheren Haus. Dieses Haus hat schon viele Stürme überstanden und viele Menschen beschützt.«
    »Ich habe trotzdem Angst.«
    »Also, wenn ich ehrlich bin, früher hatte ich vor Gewittern auch Angst. Weißt du, was meine Mutter zu mir gesagt hat? Sie hat gesagt, damit will der liebe Gott den Menschennur zeigen, daß sie immer lieb sein und nichts Schlechtes tun sollen. Er sieht nämlich alles, was die Menschen tun.«
    »Läßt er es wegen Csilla donnern und blitzen?«
    »Wieso wegen Csilla?«
    »Csilla muß doch ein sehr schlechter Mensch sein, sonst wäre sie nicht andauernd eingesperrt. Bestimmt läßt Gott es donnern, weil sie böse ist.«
    »Nein, Csilla ist kein schlechter Mensch. Sie ist nur . . . krank. Deswegen ist sie wohl die meiste Zeit in ihrem Zimmer. Es ist nur zu ihrem Besten.«
    »Muß man sie deswegen einsperren? Werde ich auch eingesperrt, wenn ich krank bin?«
    Sarah Vandenberg hatte keine Antwort darauf, sie hatte über das Problem Csilla bisher noch nicht weiter nachgedacht. Sie hatte es einfach kommentarlos hingenommen, wenn man ihr sagte, Csilla sei krank. Aber was war der eigentliche Grund dafür, daß Csilla seit sechs Jahren wie eine Gefangene gehalten wurde? War sie wirklich so krank, daß man sie einsperren mußte? War es gerechtfertigt, daß man sie wie eine Aussätzige behandelte? Warum gestattete man ihr so selten, sich im Garten aufzuhalten oder gar mit am Eßtisch zu sitzen?
    Als Sarah einmal das Gespräch auf Csillas Krankheit kommen ließ – denn auf sie machte Csilla weder einen kranken noch gestörten Eindruck, höchstens einen verstörten, wie den eines in die Enge getriebenen Rehs –, hatte man ihr recht deutlich zu verstehen gegeben, daß Csilla eine Familienangelegenheit sei und sie nichts anginge. Lediglich Margrit, Csillas Mutter, hatte später an jenem Tag in stark alkoholisiertem Zustand, der seit längerem die Regel war, und mit bitterem Lachen gemeint, Csilla hätte wohl ein Drogenproblem, aber das eigentlich Schlimme sei, daß sie während ihrer Studienzeit von einer Horde junger Männer bestialisch vergewaltigt worden sei und sie seither einfachin einer anderen Welt lebe. Ein traumatisches Erlebnis, das sie wohl zeit ihres Lebens begleiten würde. Das wäre der Grund, weshalb man sie unter Verschluß halten müßte. Nur das etwas irre Lachen von Csillas Mutter, das gleich darauf von einem seltsam traurigen Blick abgelöst wurde, den selbst das Glasige ihrer Augen nicht verdeckte, hatte Sarah für einen Moment nachdenklich werden lassen.
    Danach hatte Sarah nie wieder etwas über Csilla in Erfahrung bringen können und auch nicht wollen, denn über Csilla zu sprechen war zumindest in Sarahs Gegenwart tabu. Sarah war eben nichts als eine angeheiratete Vandenberg, ein lästiges Anhängsel ohne Stimme, ohne Rechte.
    »Ich weiß nicht, warum sie eingesperrt ist«, beantwortete sie Josephines Frage nach einer Weile. »Weil sie vielleicht sonst Dinge tut, die nicht richtig sind. Ihre Mutter und ihr Vater wollen sie wohl einfach nur beschützen . . . Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen, wegen ihr läßt Gott es bestimmt nicht donnern und blitzen. Sie hat nichts Böses getan.«
    »Dann braucht ihr sie ja auch nicht einzusperren, wenn sie nichts Böses tut.« Nach einer Weile fuhr Josephine fort: »Mama, können wir morgen nicht mal Csilla besuchen gehen?«
    »Nur wenn du mir versprichst, jetzt auf der Stelle zu schlafen. Dann werde ich sehen, was sich machen läßt.«
    »Mama, du hast mir doch gesagt, daß der liebe Gott auf mich aufpaßt, wenn ich schlafe?«
    »Natürlich tut er

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