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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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wieder, es wäre wohl einem Wunder gleichgekommen, würde er ihn zu Hause antreffen.
    Der Motor sprang sofort an, Pickard gab langsam Gas und fuhr los, vermied wenn möglich jede starke Erschütterung. Er flehte Gott an, die Straße möge frei sein. Er hatte lange nicht gebetet, in der Kirche betete Engler für die Gemeinde. Mit dem Herzen war er nie dabei.
    Windböen griffen ein ums andere Mal die langen Seiten des Wagens an, die Scheinwerfer, das einzige Licht außer den Blitzen, warfen lange helle Bündel in die pechschwarze Nacht. Im Kegel der Scheinwerfer erkannte er zum Teil, was der Tornado angerichtet hatte – der Phantasie, was mit dem geschehen war, was außerhalb der Lichtkegel in der Finsternis lag, waren keine Grenzen gesetzt. Nur wenige Minuten hatten genügt, aus einst schönen, liebevoll erbauten Häusern, dem einzigen wirklichen Besitz vieler, armselige Ruinen zu machen.
    Immer wieder mußte er auf der Straße liegenden Trümmern ausweichen, einigemal lenkte er den Wagen einfach durch Vorgärten oder über Bürgersteige, sah verzweifelte Menschen, planlos umherrennende Männer und Frauen, Hoffnungslosigkeit. Und jeder war auf sich allein gestellt.
    Er war gut durchgekommen, bis jetzt. Eine kalte Faust preßte sich auf sein Herz. Er schloß die Augen, legte seine Stirn auf das Lenkrad, um das sich seine Hände gekrallt hatten. Er hätte damit rechnen müssen! Er hätte wissen müssen, daß Waldstein und alles, was darin lebte, in dieser Nacht verflucht war! Ein entwurzelter Baum lag quer über der Straße, das letzte kleine Stück Straße in Waldstein, bevor er auf freies Gelände gelangt wäre. Dabei hatte er esfast schon geschafft! Und es war doch die einzige Straße nach Münchberg! Er stieß die Wagentür auf, stürzte hinaus, auf den Baum zu, versuchte ihn anzuheben, obgleich er genau wußte, welch unmögliches Unterfangen dies für einen Mann allein war.
    »Warum, Gott!«
schrie er mit verzerrtem Gesicht in den Sturm hinein.
»Warum hast du mich bis hierher kommen lassen, wenn du mich jetzt im Stich läßt? Was hast du dir dabei gedacht?! Es ist doch der einzige Weg nach Münchberg!!«
Er schlug ein paarmal schnell hintereinander mit den Fäusten auf den Baumstamm.
    »Hilfe! Hilfeeee!!! Bitte, bitte, so hilf mir doch einer!« Doch der Nordwind verschluckte seine Worte, zerteilte sie in bruchstückhafte Fetzen, trieb sie fort. Georg saß auf dem Baumstamm, angeleuchtet von den Scheinwerfern seines Wagens, die Hände gefaltet, den Kopf gesenkt. Starr, verzweifelt, durchnäßt, weinend. Er ging zur Rückseite des Autos, öffnete die Tür, fühlte erneut den Puls von Esther. Sie lebte. Aber wie lange noch?
     
    »Mein Gott, Dieter, da ist Vater! Das ist unser Vater!!«
    Zunächst glaubte Georg zu phantasieren. Eine Fata Morgana, aus der Angst erwachsen. Das Rufen wiederholte sich, er hob seinen Kopf, drehte ihn in die Richtung, aus der die Stimmen kamen, sah Blätter und Äste durch das Licht wirbeln. Und dann sah er sie, Dieter und Bernd, die nasse Kleidung klebte schmutzig und wie eine zweite Haut an den Körpern, die Gesichter waren dreckverschmiert.
    »Vater! Was machst du denn hier?« rief Dieter und rannte auf ihn zu. »Wir hatten schon das Schlimmste befürchtet! Ein Glück, dich gesund wiederzusehen.«
    »Wo ist Mutter?« fragte Bernd.
    »Los, ihr beiden!« Georg, in den sofort Kraft zurückströmte, ging nicht auf die Frage ein. »Hebt mit an, wir müssendiesen verdammten Baum zur Seite räumen. Es geht um Leben und Tod.«
    »Mutter?« fragte Bernd besorgt.
    »Sie liegt hinten im Wagen, und wenn sie nicht ganz schnell ins Krankenhaus kommt, stirbt sie vielleicht noch. Also los jetzt, und stellt keine Fragen mehr. Ich weiß nicht, was passiert ist. Sie ist von irgendwas getroffen worden. Betet für sie, wir können im Augenblick nichts anderes tun als beten.«
    Mit vereinten Kräften schafften sie es, den nicht sehr dickstämmigen Baum zur Seite zu hieven. Sie stiegen in den Wagen, immer geradeaus Richtung Münchberg. Und plötzlich war alles vorbei. Der Himmel klarte auf, Sterne funkelten Ewigkeiten entfernt und doch so vertraut, es war, als hätte es nie einen Tornado gegeben, als wäre alles nur ein böser, unheimlicher Alptraum gewesen. Sie hatten die Grenze der Tornadofront passiert, die selten breiter als ein oder zwei Kilometer ist. Sie schwiegen, starrten geradeaus, die ersten Lichter von Münchberg tauchten in der Ferne auf.
    »Warum ausgerechnet Waldstein? Warum mußte sich dieses

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