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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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wie er wußte, daß auch er selbst ein anderer geworden war. Damals, in jungen Jahren, war sie ein hübsches und begehrenswertes Weib gewesen, eine attraktive Frau. Bernd und Dieter wurden kurz hintereinander geboren, aber sie wollte noch ein Kind, es sollte unbedingt ein Mädchen werden.
    Sie verlor es im sechsten Monat, es wäre ein Mädchen gewesen. Danach war Esther trotz aller Anstrengungen nicht mehr schwanger geworden. Zwar gab sie vor zu glauben, das Schicksal vergönnte ihr kein weiteres Kind, innerlich jedoch begann sie, mit eben diesem Schicksal zu hadern. Fast zwangsläufig zog sie sich immer mehr von Georg zurück, verbrauchte sich statt dessen in ihrer ehrenamtlichen Arbeit in der Kirche oder brachte ganze Nachmittage in der Bücherei zu. Und sie begann im Leben anderer herumzuschnüffeln, und fand immer etwas, zumeist Intimes.
    Georg Pickard litt anfangs unter dieser Veränderung; ihre Sticheleien, die spitzen Bemerkungen verletzten ihn, in ihren Augen trug er die Schuld an der nicht mehr zustande gekommenen Schwangerschaft. Aber er hatte gelernt, damit umzugehen, auch wenn es ihm anfangs nicht leichtfiel.
    So wie er sich daran gewöhnte, daß sie nur noch ein-, im Höchstfall auch zweimal im Jahr bereit war, mit ihm zu schlafen, kurz und gefühllos. Er hatte sich daran gewöhnt, es machte ihm nichts mehr aus, bis zu jenem Tag vor einem halben Jahr, als der Name Scherer ins Spiel kam. Sein Name stand auf einem Blatt Papier, einem grauen, zerknitterten, fettigen Zettel, den ihm irgendwer irgendwo zugesteckt hatte.
Paß auf deine Frau auf, wenn du nicht willst, daß sie sich noch öfter von Scherer vögeln läßt.
Keine Unterschrift, kein Hinweis auf den Schreiber. Wie betäubt hatte er die folgenden Stunden verbracht. Er hatte sich vorgenommen, Esther zur Rede zu stellen, notfalls wollte er sogar aus ihr herausprügeln, ob sie etwas mit Scherer hatte, ob sie sich von ihm vögeln ließ, wollte toben, schreien. Er fühlte sich gedemütigt, bloßgestellt von seiner eigenen Frau, die seit Jahren so tat, als hätte sie Sex einfach aus ihrem Leben verbannt, und jetzt trieb sie es mit diesem gottverdammten Hurensohn Scherer! Erst leckte er seine Wunde, dann beträufelte er sie mit Alkohol, legte sich Worte zurecht für die große Auseinandersetzung, doch bevor er überhaupt etwas sagen konnte, empfing sie ihn mit Worten, die ihn noch stärker verwirrten.
    Dieser Scherer sei wohl eine Schande für ganz Waldstein. Wie der mit seiner armen Frau umspringe, würde wirklich alle Grenzen überschreiten. Gerade habe sie wieder die arme Kreatur im Supermarkt gesehen, das Gesicht zerschlagen, die Augen von einer großen, schwarzen Sonnenbrille verdeckt, und trotzdem verdeckte sie nicht alles, und bestimmt sei sie wieder einmal vergewaltigt worden.
Ihre Wut über dieses ekelhafte Subjekt Scherer klang echt, er konnte nicht mehr glauben, daß sie tatsächlich mit diesem Scherer ins Bett gegangen sein sollte, daß sie sich tatsächlich von ihm hatte vögeln lassen. Er schalt sich sogar einen Narren, überhaupt diesem anonymen Schreiberling geglaubtzu haben, denn wenn Esther kaum einmal mit ihrem eigenen Ehemann schlief, warum sollte sie es dann ausgerechnet mit diesem stadtbekannten Schläger und Vergewaltiger tun?! Außerdem war sie bestimmt zehn Jahre älter als Scherer. Wie hatte er nur dieser anonymen, diffamierenden, schmutzigen Lüge glauben können!
    Aber ein kleiner Funken schwelte weiter in seinem Innern, ganz tief drin. Vielleicht war es ja gerade dieses Brutale, Animalische an Scherer, was ihn bei Frauen so begehrenswert machte. Vielleicht stand auch Esther auf so was, wollte sie ausprobieren, wie es war, es mit einem solchen Kerl zu treiben. Vielleicht stimmte es ja wirklich, vielleicht aber auch nicht. Er wollte einfach das letztere glauben. Er tat es, weil er sie immer noch liebte, auf seine eigene eigentümliche Weise. Auch wenn sie schon längst nicht mehr das begehrenswerte junge Mädchen war, das ihm einst den Kopf verdreht hatte, und eigentlich nichts als eine durchschnittliche Hausfrau geworden war. Aber sie war seine Frau. Und das allein zählte.
    Georg Pickard war mit diesen Gedanken eingeschlafen, Esther in seinem Arm, wie früher. Sie lag noch immer in seinem Arm, als er erwachte. Zunächst glaubte er zu träumen, das Fenster, das er vorhin doch geschlossen hatte, stand jetzt offen und schlug monoton gegen den Rahmen. Ein unheimliches Geräusch, unbekannt und bedrohlich, er zuckte erschrocken

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