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Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Titel: Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loretta Napoleoni
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ehemaligen RAI-Direktoren, die nicht entlassen werden können und jährlich 200.000 Euro bekommen, obwohl sie nichts dafür tun? Wer Lust hat, sich ein Bild zu machen vom italienischen Staatsfernsehen und den seltsamen Blüten, die es treibt, der sollte sich einen Artikel im Espresso vom Juni 2010 zu Gemüte führen: »RAI – ecco gli stipendi« von Emiliano Fittipaldi. Dort erfährt man einiges über die Gehälter bei der RAI.
    Eine andere Form der Erpressung ist die Sache mit der Umsatzsteuer. Sogar die von privaten Gesellschaften vermittelten Angestellten der Ministerien werden aufgefordert, als »Selbständige« eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (partita IVA) zu beantragen. Die multinationalen Konzerne, die für den Staat arbeiten, machen sich dies zunutze und stellen die Arbeitsverhältnisse mitunter von einem Moment auf den anderen um. So geschehen im Fall eines 39-jährigen Managers. Acht Jahre lang war er bei einem multinationalen Konzern als Führungskraft im Bereich Krankenhausdienstleistungen angestellt. Dann machte man ihn plötzlich in aller Eile zum Freiberufler. Hier ist sein auf der Internetseite der Repubblica veröffentlichter Bericht:
    »An einem Freitagnachmittag bestellte mein Chef mich in sein Büro. ›Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht‹, sagte er ohne Umschweife. ›Die schlechte ist, dass dein Vertrag in einen Beratervertrag umgewandelt wird, die gute, dass du deshalb eine höhere Nettovergütung erhältst.‹ Dann händigte er mir die Kündigung aus. Doch was hat sich seither geändert? Nichts! Arbeitszeiten, Büro, Tätigkeit – alles wie vorher. Aber für das Unternehmen bin ich nun kein Kostenfaktor mehr, sondern eine Investition.«
    Eine Investition, die natürlich über keinerlei Rechte verfügt und deren man sich jederzeit legal entledigen kann.
    Die »Verselbständigung« der Angestellten geht einher mit der Verlagerung von Kapital: Statt bei den ungesichert Beschäftigten landet es nun in den Taschen des Staates, der die Umsatzsteuer kassiert. Hören wir dazu Astrid D’Eredità, eine 31-jährige prekär beschäftigte Archäologin, die ihren Bericht ebenfalls auf die Internetseite der Repubblica stellt: »Wir fangen mit den Bauarbeitern zwischen sieben und halb acht Uhr morgens an, wenn die Ausgrabungsstätte geöffnet wird. Nach der Mittagspause schuften wir weiter bis um vier Uhr nachmittags. Wir erhalten zwischen 40 und 100 Euro am Tag, im Durchschnitt arbeiten wir zwei Wochen im Monat. Ein postindustrieller Akkordsatz. Wir Archäologen sind fast alle als Freiberufler tätig und haben eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. Eine halsabschneiderische Regelung, auch was die Steuern betrifft. Sie bluten uns förmlich aus. Steuerlich geltend machen kann ich nämlich praktisch nur die Ausgaben für mein Mobiltelefon. Faktisch sind wir Arbeitnehmer, offiziell aber nicht, das bringt uns steuerlich gesehen nur Nachteile.«
    Die Opfer des Krieges unter den Armen, den die Oligarchen im Mittelmeerraum angezettelt haben, sind die prekär Beschäftigten sowie die Einwanderer. Sie haben keine Stimme. Im Frühling und Sommer 2011 entbrennt in Italien eine heftige Kontroverse über die Verträge der Arbeiter des Fiat-Werks von Pomigliano d’Arco in der Nähe von Neapel. Intellektuelle und Politiker ergreifen Partei für ein paar hundert Arbeiter, die der Metallgewerkschaft FIOM (Federazione Italiana Lavoratori Metallurgici) angehören. Doch niemand rührt auch nur den kleinen Finger, wenn es um die fünf Millionen prekär Beschäftigte geht, die sich von früh bis spät für einen Hungerlohn abrackern. Beim Großteil der Universitäten beispielsweise liegt die Entschädigung für eine »Unterrichtseinheit« zwischen 300 bis 1000 Euro brutto im Jahr. Die Rede ist von Seminaren und Kursen, die dreißig bis vierzig Unterrichtsstunden umfassen. Dazu kommen für die Dozenten noch alle anderen Aufgaben, die mit der Lehrtätigkeit zusammenhängen, wie etwa die Abnahme von Prüfungen oder die Sprechstunden für die Studenten. Wissen eigentlich die Gewerkschaften, was außerhalb des immer kleiner werdenden Schonraums der Festangestellten los ist?
    Einen Eindruck aus der Welt des Prekariats verschafft uns die (selbst prekär beschäftigte) Fotografin Chiara Schiaratura mit ihrem Projekt »Porträts aus dem Prekariat«: »Ich arbeite auf Abruf für ein Studio für Grafik und Webdesign, bin also sozusagen Taglöhner im Dienstleistungsbereich«, schreibt Michele. »Manchmal arbeite

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