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Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Titel: Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loretta Napoleoni
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nicht durch Stimmabgabe kundtun. Eine verheerende Konditionierung, die zur Folge hat, dass sie mit dem Verhaltenscode der Diktatur vertrauter sind als mit dem der Demokratie. Wie sonst ließe sich erklären, dass im Norden Europas – von Großbritannien einmal abgesehen – nicht dieselbe Distanz zwischen Regierenden und Regierten herrscht wie im Süden? Die Kluft, welche die defizitären Demokratien im Herzen des Mittelmeerraums charakterisiert, verbindet sie mit den Rebellen in den Ländern Arabiens und des Nahen Ostens.

9 Die (Weniger-als-)tausend-Euro-Generation
    Die jungen Leute, die auf den Straßen Europas demonstrieren, sind die Kinder der megaegoistischen Babyboomer. Sie gehören zur »Generation Millennium«, die in vielerlei Hinsicht anders lebt als ihre Eltern. Weil ein großer Teil der Produktionsstätten nach Asien verlagert wurde, bleiben sie vom produktiven Geschehen im Westen ausgeschlossen. Ihr Dasein steht unter dem Zeichen des Konsums. Von den Unternehmen als Anhängsel ihrer Eltern betrachtet, waren sie von Geburt an Zielscheibe aggressiven Marketings. Sie haben gelernt, dass man sich nur zu verschulden braucht, um weiter dem Konsum frönen zu können.
    Auf dem Arbeitsmarkt sind die jungen Leute der Generation Millennium nur schemenhaft vorhanden, und die Tatsache, dass sie meist in ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen jobben, macht sie auch für die staatlichen Sicherungssysteme von der Rentenversicherung bis zum Gesundheitswesen unsichtbar. Sie sind als die ersten echten Opfer eines Wirtschaftssystems zu betrachten, das seine Funktion nicht erfüllt, weil Produktion und Konsum geografisch und sozial voneinander getrennt wurden. Ohne die Sicherheit einer festen Stelle, ohne Fördermittel und ohne Sozialstaat sind sie vollkommen von ihren Familien abhängig. So erzählt beispielsweise ein Vater der Tageszeitung La Repubblica von seinem zunächst prekären, dann verlorengegangenen Job: »Seit vier Monaten bekomme ich kein Gehalt mehr. Anfang Juni ging ich deshalb mit meinen zwei Kindern zum Mittagessen zu meinen Eltern. Sie haben nicht einmal gefragt. Sie haben den Tisch für fünf gedeckt, und erst nach dem Essen fragte meine Mutter: ›Passt es euch morgen um 13.00 Uhr?‹«
    Laut einem Bericht des Istat, des italienischen Bundesamts für Statistik, über die Armut in Italien leben mehr als zwei Millionen junger Leute, die weder arbeiten noch studieren, bei ihren Eltern. Die Zahlen decken sich mehr oder weniger mit denen in den anderen Mittelmeerländern. Diesbezüglich sind wir ein Entwicklungsland. Und doch gilt Italien als drittgrößte Wirtschaftsmacht in Europa und siebtgrößte der Welt. Aber stimmt das tatsächlich? Nein. Denn würden wir das Heer der schemenhaften Prekären in die Berechnung des BIP mit einbeziehen, erhielten wir ein ganz anderes Ergebnis.
    Die Generation Millennium der südlichen Mittelmeerländer, in denen Arabisch gesprochen und rebelliert wird, ist sich bewusst, dass sie in einer dysfunktionalen Wirtschaft aufgewachsen ist, die ihren Zweck nicht erfüllt. Ebendeshalb fehlt ihnen eines der klassischen Merkmale des Homo oeconomicus: Besitz, Karriere, Status und Individualismus entfalten in ihren Reihen weniger Anziehungskraft als bei ihren europäischen Altersgenossen. So erklärt Tommaso, ein junger Student aus Rom: »Ich gehöre zur Generation Millennium. Egoismus, Streben nach Besitz, nach Individualismus sind für den größten Teil meiner Altersgenossen charakteristisch. Aus diesem Grund gibt es in Italien noch keine ernstzunehmende Protestbewegung unter den Jugendlichen. Als Sohn zweier Alt-Achtundsechziger tue ich mich schwer zu glauben, dass die jungen Leute in diesem Land sich der wirklichen Probleme bewusst werden. Die Mehrheit meiner Altersgenossen hat die Nase noch lange nicht voll. Wer die Kurve nicht kriegt, geht nach wie vor entweder weg oder leidet still vor sich hin.«
    Kann es sein, dass die jungen Leute im südlichen Mittelmeerraum sich ihrer mangelnden Teilhabe bewusster sind als ihre Altersgenossen im Norden? Und vor allem: Ist es möglich, dass unsere arabischen Vettern nicht die für die Generation ihrer Eltern typische Angst und Resignation übernommen haben? Ja, es scheint so.
    Was hingegen die Angehörigen der Generation Millennium eint, sind Spontaneität, Improvisationstalent und Vertrauen in ihre Umwelt. Sie haben ja auch keinen Krieg erlebt. Dies haben sie zumindest ansatzweise mit den Hippies der Sechziger gemeinsam. Allerdings

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