Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
Vulkanologie studiert hat: »Ich bin 41 Jahre alt und habe, seit ich angefangen habe zu arbeiten, nur befristete Arbeitsverträge. Ich soll ins Ausland gehen? Da war ich schon! Nach dem Magister habe ich mehr als vier Jahre in England gelebt, um einen Doktortitel zu erwerben. Eine wunderbare Erfahrung. Damals schienen mir alle Türen offen zu stehen. Doch statt in England zu bleiben oder in die USA zu gehen, entschloss ich mich, wieder nach Italien zurückzukehren. Denn wer nicht gleich zurückkommt, verbaut sich im Heimatland sämtliche Möglichkeiten. Damals schien mir das richtig, und vielleicht wäre ich immer noch dieser Meinung, wäre da nicht diese zermürbende Ungewissheit. Ich weiß nicht, ob ich heute nochmals bereit wäre umzuziehen. Ich habe zwei Kinder. Das zweite Kind war der Salto in die totale Unsicherheit, ich habe es sozusagen ›trotzdem‹ bekommen. Aber ich habe es geschafft, ungeachtet der Zweimonatsverträge und der projektbezogenen Jobs, mit denen man mühsam wenig Geld verdient. Jetzt geht es mir vergleichsweise gut, ich habe bis 2012 einen Vertrag am Institut für Vulkanologie. Mein Mann arbeitet auch in der Forschung, sein Vertrag ist – wie könnte es anders sein? – auch befristet.«
Die politische Klasse Italiens, die das Einmaleins der Propaganda seit jeher meisterhaft beherrscht, schiebt die Schuld den jungen Leuten in die Schuhe. So lenkt sie von ihrer Inkompetenz und ihren Fehlern ab. 2009 meint der damalige Minister für Innovation und Verwaltung Renato Brunetta zunächst, es solle ein Gesetz geben, das die Achtzehnjährigen aus dem Elternhaus verbannt. Kurz darauf schlug er vor, man könne doch den Ruheständlern 500 Euro von der Rente abziehen, sozusagen als Taschengeld für die Kinder. Als man ihn 2011 schließlich auf einer Pressekonferenz fragte, wie er sich denn die schlechten Aussichten der Jugend auf Arbeit erklärt, schleuderte er der Dame, die als Sprecherin der prekär Beschäftigten auftrat, ins Gesicht: »Ihr verkörpert doch den schlimmsten Teil Italiens.«
Dabei ist die Generation Millennium das Opfer eines perversen Systems, das den Westen zusehends verarmen lässt. Geschaffen haben es Politiker, die ihre Arbeit nicht als Dienst an der Allgemeinheit verstehen, sondern als Mittel zur Bereicherung ausnutzen. Dieses angeschlagene politische System, das heute von der internationalen Finanzwirtschaft attackiert wird, zwingt seit mindestens zwei Jahrzehnten Italiens Jugend, sich mit Brosamen zu begnügen.
So erzählt uns ein Bademeister mit Abschluss in Jura im Interview: »Ich habe vor fast zehn Jahren mein Studium der Rechtswissenschaft abgeschlossen. Heute muss ich froh sein, dass ich einen Job als Bademeister gefunden habe, für knapp 6 Euro die Stunde. Denn vorher war ich mehrere Monate lang arbeitslos und habe auf Hunderte Bewerbungsschreiben nicht einmal eine Absage erhalten. Meinen Freunden ging es nicht anders, was ich wirklich dramatisch finde. Genauso schlimm aber scheint mir, dass viele von uns sich mit dieser Situation abgefunden haben, als sei das alles nicht zu ändern.«
Ist Resignation wirklich typisch für die Generation Praktikum im europäischen Mittelmeerraum? Oder mangelt es diesen Jungen einfach am Klassenbewusstsein, wie Marx sagen würde, also am Bewusstsein, der Klasse anzugehören, die das Land am Laufen hält? Gibt es die klassisch marxistische Zweiteilung noch, auch wenn die traditionelle Linke, die schon längst jede Peilung verloren hat, sie nicht erkennen will?
Wenn wir aber diese Frage mit Ja beantworten, hat der Ausschluss der Generation Millennium vom produktiven Arbeitsleben eine andere, noch schlimmere Bedeutung. Der mediterrane Kapitalismus ist rigoros verarmt. Hat er zuerst die Produktion nach Asien verlagert, um höhere Gewinne zu machen, so versucht er nun, Profit zu machen, indem er seine Beschäftigten zu Hause ins Prekariat zwingt. Die Menschen in ungesicherten Arbeitsverhältnissen bilden den letzten Pfeiler, der das Produktionssystem noch aufrechterhält. Wir begegnen ihnen überall: von der öffentlichen Verwaltung über die Schulen, von den Unternehmen über die kleinen Fabriken bis hin zu den Krankenhäusern mit Ärzten, Pflegern und Putzfrauen. Sie, nicht etwa der internationale Kreditmarkt, sind die einzige Hoffnung in den Volkswirtschaften des Mittelmeerraums. Denn sie sind es, die arbeiten und produzieren und so für den Gewinn einer Klasse von Profiteuren sorgen, die ohne diese jungen Leute sich selbst und das
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