Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
Mittelmeerländer haben eine Gemeinsamkeit: die Schwäche des Staates – ein fruchtbarer Boden, auf dem die Misswirtschaft wuchert. Sämtliche PIIGS-Staaten kranken an diesem Übel, das an ihren noch sehr jungen Demokratien zehrt. Israel ist vom selben Leiden befallen. Zwar liegt es im Nahen Osten, sozial gesehen aber ist es westlich geprägt. Keines dieser Länder hat eine jahrhundertealte Tradition als Nationalstaat wie Frankreich oder England. Gerade weil der historische Abstand zur dunklen Vergangenheit kurz ist, bevölkern die Gespenster Diktatur, Bürgerkrieg und politische Gewalt noch immer die kollektive Vorstellung der mediterranen Nationen.
Im Jahr 1965 destabilisierte sich das politische System Griechenlands endgültig, was am Ende der Diktatur der Offiziere Tür und Tor öffnete – mit Unterstützung durch die amerikanische Regierung. Am 21. April 1967 kam es zum Militärputsch. Die schlechte Wirtschaftspolitik der Junta und der Studentenaufstand am Athener Polytechnikum im November 1973 führten zu einem weiteren Staatsstreich. Diesmal war es der Offizier Dimitrios Ioannidis, der eine De-facto-Diktatur errichtete. Am 20. Juli 1974, als die Türkei als Antwort auf den Putsch in Griechenland in Zypern einmarschierte, um die Insel zu annektieren, stürzte das Regime Ioannidis’. In diesen Jahren schürte die militärische Repression politische Gewalt und Terrorismus. Die junge Demokratie tat ihre ersten Schritte, noch bevor die Wunden der gewaltsamen Vergangenheit verheilt waren.
Auch in Italien wurde viel Blut vergossen, ehe nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Demokratie entstand: zuerst unter dem Faschismus, dann während des Bürgerkriegs, der auf den Waffenstillstand 1943 folgte. Noch jahrzehntelang lastete die dunkle Vergangenheit auf der jungen Demokratie. Eine einzige Partei, die christlich-demokratische Democrazia Cristiana, regiert 35 Jahre lang ohne Unterbrechung, sei es allein oder in verschiedenen Koalitionen. Möglich machte dies die Unterstützung, welche die USA, der geopolitischen Logik des Kalten Krieges gehorchend, dem Land gewährten. Von den sechziger bis zu den achtziger Jahren lähmten politische Ereignisse die Demokratie in Italien. Vor dem Hintergrund gewalttätiger subversiver Aktionen linker und rechter Extremisten folgte eine Regierung auf die nächste.
In Spanien starb 1975 der Diktator Franco in seinem Bett und überließ das Land dem König und zwei Parteien, die gegensätzliche politische Visionen verfolgen: der sozialistischen PSOE (Partido Socialista Obrero Español [Spanische Sozialistische Arbeiterpartei]) und der konservativen PP (Partido Popular). Dieser Wechsel aber löste das Problem der politischen Gewalt, die Francos Diktatur prägte, nicht. Die ETA, der bewaffnete Flügel der baskischen Separatisten, mordete weiter, und der Staat vergalt Gleiches mit Gleichem, indem er sie mit seinen Todesschwadronen, der staatsterroristischen GAL, bekämpfte. Noch heute ist das Gespenst des Terrorismus höchst lebendig in Spanien.
In Portugal war bis 1968 der Diktator Salazar an der Macht. 1974 setzte ein Teil der Armee seinen Nachfolger Marcelo Caetano durch Putsch ab. Erst zwei Jahre später begann das Land, demokratische Züge zu entwickeln.
Auch Israel gehört zu den jungen Demokratien, die immer noch unter dem Terrorismus zu leiden haben.
Irland zählt zwar nicht zu den Mittelmeerländern, ist aber unter den nordischen Nationen diejenige, die mit diesen die größten Gemeinsamkeiten aufweist. Von den Engländern kolonialisiert, ist das Schicksal der Grünen Insel mit dem der Mittelmeerstaaten vergleichbar. Erst spät schaffte Irland infolge gewalttätiger revolutionärer Aktionen den Schritt in die Unabhängigkeit, es bleibt jedoch zweigeteilt. Der Norden leidet unter Terrorismus und brutaler Repression. Auch hier ist die Demokratie noch jung und zerbrechlich. Der Euro-Beitritt führte in der Folge zur Entstehung einer Finanz- und Immobilienblase, die in der Schuldenkrise platzte. Seither kommt die Wirtschaft des ehemaligen »keltischen Tigers« nicht mehr in Gang.
Die Empörten Europas sind Brüder, Kinder einer gewalttätigen, diktatorischen, kolonialen (also alles andere als demokratischen) politischen Vergangenheit. Genau wie ihre arabischen Brüder sind sie Opfer eines Systems, welches das Prinzip der Gleichheit nie wirklich verinnerlicht hat. In den PIIGS-Staaten konnten die Generationen, die zur Zeit an der Macht sind, lange Zeit ihren politischen Willen
Weitere Kostenlose Bücher