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Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Titel: Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loretta Napoleoni
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Ecuador mit in den Abgrund. 2008 trifft die Krise Island, jetzt sind die PIIGS-Staaten massiv gefährdet. Die Geschichte der Globalisierung ist keineswegs ein Heldenepos von Triumph und Fortschritt, sondern ein Schauerroman, in dem Blutsauger im Designer-Nadelstreifen mit der Börse als Schröpfmesser all jene zur Ader lassen, die dumm genug sind, ihren Versprechungen zu glauben. Gleichsam ein Diebstahl mit Samthandschuhen. Aber auch die Chicago Boys, die Deregulierungs- und Privatisierungsjunkies, die Derivatehändler und Wechselkursspekulanten sind nur Marionetten. Wie die Politiker nähren sie sich von den Brosamen des großen neoliberalistischen Fressens. Die Fäden werden im Westen von ganz anderen Leuten gezogen, Leuten, die wie Rupert Murdoch den Informationsfluss kontrollieren oder über große Bankhäuser wie Goldman Sachs und J. P. Morgan herrschen.
    Die Demonstranten in den arabischen Ländern und in Europa wollen nicht dasselbe Schicksal erleiden wie die Menschen in Mexiko, Thailand oder Argentinien. Auch den Status quo in den Ländern nördlich des Mittelmeeres wollen sie nicht mehr kommentarlos hinnehmen: Volkswirtschaften, die nicht mehr wachsen, weil sie nicht mehr wettbewerbsfähig und bis zum Hals verschuldet sind, weil die Seuche der Arbeitslosigkeit und des Prekariats sie in die Knie zwingt. Ein Heer junger unterbezahlter Gelegenheitsarbeiter hält die Wirtschaft aufrecht, ohne im Mindesten am Wirtschaftskreislauf teilzuhaben. Eine Gesellschaft, die die Reichen und Berühmten verehrt, egal, wer sie sind oder was sie tun, in der der Geldadel in goldenen Palästen hinter Stacheldraht lebt, geschützt von einem Staat, der ansonsten bedenkenlos seine Kinder frisst.
    Bis zum Ausbruch der demokratischen Revolte träumten die Ausgeschlossenen davon, über diesen Zaun und auf die Seite der Privilegierten zu gelangen. Heute aber stellen wir allmählich fest, dass dies nicht nur ein unerfüllbarer Traum, sondern auch das falsche Ziel ist. Über zwanzig Jahre Globalisierung haben dafür gesorgt, dass die Geldelite in ihrer eigenen Welt lebt. Und dass von echter Demokratie in unseren Ländern nicht mehr viel übrig ist.
    Heute, wo die Realität mit harten Bandagen an unsere Tore klopft, sind wir aufgewacht aus unserem Medientraum und finden uns in einer Welt wieder, die eher der unserer mittelalterlichen Vorfahren gleicht: Die Konzentration des Reichtums in den Händen der Geldbarone fördert Korruption und Diebstahl, zementiert die Lehnsherrschaft des Geldes und würgt Wachstum und Entwicklung gnadenlos ab. Die modernen Feudalherren heißen Mubarak, Ben Ali, Gaddafi, Assad, aber auch Berlusconi. Zu ihnen gehören griechische Reeder und spanische Bauunternehmer ebenso wie die Gesellschaft der Superreichen in London, die Immobilienspekulanten in Irland oder die Steuerhinterzieher in Portugal.
    Wohlstand ist heute zur Fata Morgana geworden, die die Menschen nördlich und südlich des Mittelmeers gleicherweise täuscht. Wir mögen reicher scheinen als in den sechziger Jahren, weil wir mehr besitzen, in Wirklichkeit aber sind wir ärmer, weil wir chancenloser sind als damals. Zu jener Zeit konnten wir jeden Berg erklimmen, heute aber sitzen wir – wie Hannah Arendt sagen würde – ohne Wasser in der Wüste. Die Empörten Europas und der arabischen Welt haben genug von diesem System. Wie ihre Brüder in Argentinien und Lateinamerika vor zehn Jahren erkennen sie, dass ihr Problem in der Politik liegt, in der schlechten Regierungsführung bzw. Misswirtschaft auf allen Ebenen. Die Wirtschaft wird zur Schurkenwirtschaft, weil diejenigen, die über unsere Interessen wachen sollten, dies zuließen.
    Schlechte Regierungsführung international
    Ist es denn sinnvoll, die Revolte in Tunesien, die Krise in Griechenland oder Italien vor dem Hintergrund der Ereignisse in Argentinien zu betrachten? Zumindest kann dieser Ansatz uns Aufschluss darüber geben, was die Aufständischen im Argentinien des Jahres 2001, im Europa und in der arabischen Welt von heute bereits wissen: Die Werkstätten, in denen politische, wirtschaftliche und soziale Strukturen für das globale Dorf der Zukunft entworfen werden, liegen weder in Brüssel noch in der Wall Street, aber auch nicht in Washington, dem Sitz des IWF. Sie entstehen auf den Straßen und Plätzen jener Länder, die zum Opfer des westlichen neoliberalistischen Modells geworden sind. Dort arbeiten die Menschen mit ungebremstem Eifer am neodemokratischen Staat der postimperialen

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