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Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Titel: Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loretta Napoleoni
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Rückgriff auf einige Elemente des alten Wohlfahrtsstaates gemildert. Ob im China von Jintao, im Brasilien Lula da Silvas, im Bolivien von Evo Morales oder im Argentinien des Kirchner-Paares, überall werden Alternativen zum gescheiterten Modell des Westens ausprobiert und bringen Wachstum und Fortschritt, während das Auge des Orkans sich langsam dem Zentrum des Imperiums nähert, wo allmählich dieselben sozialen Spannungen aufbrechen. Schon dies ist ein Grund, einen Blick auf Argentinien zu werfen, das als Avantgarde im neuen ökonomischen Kurs gelten kann.

16 Die Defizitländer – neue Zukunftswerkstätten?
    Der Aufstand der Empörten Europas, Argentiniens und der arabischen Welt richtet sich, 2001 wie heute, gegen die internationale Gemeinschaft und ihre wirtschaftlichen und politischen Rezepte. Die Europäer kämpfen nicht um Demokratie, denn diese haben sie ja offiziell, sondern um die Anwendung demokratischer Grundsätze. Sie wollen selbst über ihr Schicksal bestimmen und die vorhandenen (intellektuellen und materiellen) Ressourcen im Interesse der Allgemeinheit nutzen.
    Angesichts dessen stellt sich die Frage: Müssen auch wir zuerst ein ähnliches Jammertal durchqueren wie Argentinien? Betrachten wir doch einmal die Etappen, in denen sich Argentiniens Schicksal vollzog, und vergleichen wir sie mit dem, was in Griechenland und den anderen PIIGS-Staaten passiert. Das ist schon deshalb wichtig, weil die Angst vor dem Pleitegeier heute auch in Europa umgeht.
    Die Krise Argentiniens nimmt ihren Anfang in den frühen neunziger Jahren, als die Regierung ihre Währung an den Dollar bindet. Eine Entscheidung, die Auslandsinvestments erleichtert und stabiler macht. Das Risiko der Abwertung ist ausgeschaltet, und tatsächlich beginnen argentinische Staatsanleihen zu boomen. Die internationalen Märkte sind bereit, Geld nach Argentinien fließen zu lassen, aber nicht in die anderen südamerikanischen Länder.
    Wie es Jahre später auch in Island passieren sollte, überschwemmen plötzlich junge Leute in dunklen Nadelstreifenanzügen Buenos Aires – ausgesandt von der Wall Street und der Londoner City. Argentinien ist das Mekka der globalisierten Finanzwelt. 1996 gibt Goldman Sachs einen Analystenbericht heraus, der den Titel trägt: A Brave New World . Darin wird Argentinien als Vorbild eines Emerging Markets präsentiert, dessen Erfolgsrezepte auch im restlichen Lateinamerika und in anderen Schwellenländern Anwendung finden sollten. Entscheidend ist dabei die Anbindung des argentinischen Peso an den Dollar, der mit einem Wechselkurs von eins zu eins notiert. Jedes Abwertungsrisiko ist damit ausgeschlossen!
    Doch für die heranwachsende Volkswirtschaft ist die Bindung des Peso an den Dollar ein echter Pferdefuß, denn das heißt, dass die Regierung nur dann Geld drucken kann, wenn sie dessen Gegenwert in Dollar besitzt. Die Regierung kann also weder abwerten noch mit dem Instrument einer kontrollierten Inflation arbeiten. Folglich muss jedes Haushaltsdefizit durch Aufnahme von Krediten am Kapitalmarkt gedeckt werden. An dieser Stelle sollten wir vielleicht ein paar Worte über das strategische Instrument der Abwertung einflechten und erklären, was es einem Land wie Argentinien, das bald hoch verschuldet ist, nutzen kann. Wird die Währung eines Landes abgewertet, so mag das zwar wenig ehrenvoll sein, doch es reduziert den Wert der Schulden in Dollar und verbilligt die Ausfuhren, was das Land wettbewerbsfähiger macht. Gleichzeitig steigt der Wert der Deviseneinnahmen. Daher ist Abwertung nicht immer negativ zu sehen.
    Dummerweise stecken auch die PIIGS-Staaten heute in dieser Art von Stahlkorsett. Der Euro hindert Griechenland daran, seine Währung abzuwerten. Auf diese Weise könnte auch Italien seine gigantischen Schulden reduzieren, und die spanische Tourismusindustrie würde wieder wettbewerbsfähig. Heute bleibt diesen Ländern allein der Weg der Kreditaufnahme. Doch mit den Krediten werden längst nur noch die Zinszahlungen getilgt. Die von der EU veröffentlichten Daten bestätigen dies: Von 2007, dem Beginn der Rezession, bis 2011 stiegen die italienischen Staatsschulden von 104 Prozent auf 120 Prozent des BIP, die spanischen von 36 auf 69 Prozent des BIP, die griechischen von 105 auf 148 Prozent, die portugiesischen von 68 auf 103 Prozent und die irischen von 25 auf 102 Prozent des BIP.
    Doch die Argentinienkrise hat ihre Wurzeln nicht nur in der eisernen Disziplin, die dem Land durch die

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