Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
Schar hübscher junger Mädchen, die sie wie Trophäen zur Schau stellen. Selbstverständlich sind die Dienste der Damen nicht kostenlos.
Natürlich durfte bei der Inszenierung der Rückkehr des verlorenen Sohnes eine Institution nicht fehlen, die wir bereits kennen: der Internationale Währungsfonds. Zwischen 2000 und 2005 erklärt der IWF mehrfach, die libysche Wirtschaft mache sich gut. Erdöl- und Gasverkauf machen 72 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der afrikanischen Nation aus. Dank steigender Ölpreise fährt der Export fossiler Brennstoffe immer höhere Gewinne ein und bläht das BIP immer weiter auf. Dass Erdöl die einzige Einkommensquelle Libyens ist, bekümmert niemanden.
Der IWF weiß auch die neoliberale Prägung zu würdigen, die der libysche Staat seiner Wirtschaft aufzwingt, sobald er von der Liste der »Schurkenstaaten« gestrichen ist. Zum Beispiel durch Privatisierungen, die Aufhebung der Zollschranken sowie die Öffnung des Landes für ausländisches Kapital. Die Geschichte ist keineswegs neu. Gleichzeitig senkt man die Ausgaben für staatliche Dienstleistungen sowie die Zuschüsse für Güter des täglichen Bedarfs, die während der Jahre der Sanktionen vom Staat subventioniert wurden. Diese Maßnahmen lassen zwar die Bevölkerung verarmen, doch für den IWF ist das ein vernachlässigbares Detail. Für ihn zählt einzig die Höhe des BIP.
Ganze 80 Prozent der libyschen Familien erhalten ihr Gehalt vom Staat, die Kosten für den öffentlichen Sektor machen zwei Drittel des Staatshaushalts aus. Doch das ist kein Problem für den IWF. Noch weniger kümmert es ihn, dass es im libyschen Wirtschaftssystem keine vom Staat unabhängigen Unternehmen gibt. Gaddafi blieb so lange an der Macht, eben weil er Wirtschaft und Staat eng miteinander verknüpft hatte: Der Staat sorgte für die Gehälter der Bevölkerung. Und wie sieht es mit der Einkommensverteilung aus? Libyen hatte das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Nordafrika, nämlich 18.720 Dollar. (Als Vergleich: In Tunesien, das an zweiter Stelle der Einkommens-Charts steht, betrug es 8630, in Ägypten 5860 Dollar.) Gleichzeitig hat es den Daten des Marktforschungsinstituts Economist Intelligence Unit zufolge mit 33 Prozent den höchsten Prozentsatz an Bürgern, die unter der Armutsgrenze leben. In Tunesien sind es 3,8 Prozent, in Ägypten 20 Prozent. Aus diesen Zahlen geht eindeutig hervor, dass das neoliberale Modell die Eliten reicher machte und das Volk zum Hungern zwang. Aber der IWF hat ganz andere Sorgen.
Machen wir uns keine Illusionen: Die Beziehung zwischen den Westmächten und der libyschen Übergangsregierung wird sich nicht viel anders entwickeln als die zu Gaddafi. Der Westen hat es aufs Öl abgesehen. Ob sich in Libyen eine demokratische Gesellschaft entwickeln kann, interessiert ihn nicht. In den nächsten Monaten werden wir verfolgen können, wie sich die provisorische Regierung einer Gesellschaft verhält, die sich von der tunesischen oder ägyptischen vor allem darin unterscheidet, dass sie immer noch in Stämme gegliedert ist. Wird es den Libyern gelingen, Abstand zu halten von Europäern und Amerikanern und ein unabhängiges politisches System ins Leben zu rufen? Oder werden sie dasselbe traurige Schicksal erleiden wie eine andere Stammesgesellschaft, die wir kennen: der Irak? Wir werden sehen.
Menschenhandel in Europa
Die Aufnahme Gaddafis in den Kreis der dem Westen wohlgesinnten arabischen Diktatoren ermöglichte Europa unter anderem, das wachsende Problem der Einwanderung zu lösen. Der alte Kontinent verfügt nicht mehr über genug wirtschaftliches, soziales und politisches Kapital, um Scharen von Neuankömmlingen aufzunehmen. Gaddafi erbot sich, die Auswanderungswilligen abzufangen, einzusperren und sich ihrer zu entledigen, als handelte es sich bei diesen Menschen um unerwünschte Ware. Europa nahm die Handreichung dankbar entgegen, denn das Problem der Einwanderung verursachte allerlei politische Spannungen und untergrub die Glaubwürdigkeit der traditionellen Parteien. Auch neueren Parteien kam Gaddafis Angebot mehr als gelegen. Umberto Bossis rechtslastige Lega Nord in Italien, die Rechtsextremen in den Niederlanden (Geert Wilders), in Österreich (Heinz-Christian Strache) oder in Finnland (Timo Soini) gehen auf Stimmenfang mit ihrer harten Haltung gegenüber Zuwanderung bzw. dem Islam. Natürlich halten alle hübsch den Mund, wenn es darum geht, wem sie die praktische Umsetzung ihrer Vorstellungen zu
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