Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
Ära.
Sowohl Argentinien als auch Tunis beginnen mit ihren Modernisierungsbemühungen nach dem Sieg über den Kolonialismus. Der lange Marsch zur inneren Demokratisierung beginnt während des Kalten Kriegs, also in einer Zeit, in der die USA entsprechend Druck auf die Länder der Welt ausübten und die Chicago Boys, die neoliberalistischen Wirtschaftswissenschaftler im Gefolge von Milton Friedman, einen beträchtlichen Einfluss hatten. Gleichzeitig kämpften große Teile der Bevölkerung um politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit: in Tunesien um die Unabhängigkeit von Frankreich (1966 bis 1976), in Argentinien gegen Diktatoren und Scheindemokratien. Die Ergebnisse aber waren enttäuschend. Die Proteste änderten nichts an den Regimen, die sich die ökonomischen Richtlinien des Washington-Konsens auf die Fahnen schrieben. Dieses System aber war ganz auf die Bedürfnisse der USA zugeschnitten, die damals noch stärkste Weltmacht waren.
In Argentinien bleibt wie in Tunesien, Ägypten oder Libyen das Erbe des Kolonialismus erhalten. Paradoxerweise legten ausgerechnet jene Bewegungen, in die das Volk seine Hoffnung auf Unabhängigkeit setzte – wie der Peronismus in Argentinien und Bourguibas Destur-Partei in Tunesien, die in ihren Anfängen eine laizistische, nationale, sozialistische Partei war –, der Wirtschaft ein neoliberalistisches Korsett an, das den Interessen des postkolonialen Kapitalismus diente.
Sowohl in Tunesien als auch in Argentinien setzte ein Staatsstreich der postkolonialen Unterwerfung ein Ende: 1976 gegen die Regierung von Isabel Perón, 1987 in Tunesien, wo Ben Ali Bourguiba absetzte. Interessanterweise haben beide Putsche ihre Wurzeln in den Protesten des Volkes gegen die ersten neoliberalistischen Reformen. Doch sowohl die argentinische Militärdiktatur als auch General Ben Ali sollten den neoliberalistischen Kurs ihrer Vorgänger weiterverfolgen, ja, sich sogar um eine systematischere Umsetzung des Modells bemühen.
Daher regnete es in den neunziger Jahren Anerkennungsadressen für das mittlerweile demokratische Argentinien Menems und für Tunesien unter Ben Alis Herrschaft, haben beide Länder doch das neoliberalistische Menü, das ihnen vom IWF, der Weltbank und anderen internationalen Wirtschaftsorganisationen aufgetischt wurde, scheinbar blendend verdaut: Deregulierung der Märkte und Öffnung für das Spekulantentum; Privatisierung des öffentlichen Dienstes und der Güter im Staatsbesitz; Senkung der Sozialausgaben und hemmungslose Ausplünderung natürlicher Ressourcen auf Kosten der lokalen Bevölkerung; Unterbeschäftigung, Mobilität der Arbeitskräfte und Auflösung fester Beschäftigungsverhältnisse zugunsten eines ständig größer werdenden Prekariats.
Doch allmählich organisiert sich der Widerstand, vor allem dort, wo das Modell am meisten Schaden anrichtet: auf dem Land, in Kleinbetrieben und unter den arbeitslosen Universitätsabsolventen. Auch die Revolution in Ägypten 2011 ist Folge sozialer Kämpfe und einer Reihe von Streiks, die 2006 im Innern des Landes begonnen haben. Wie in Argentinien hat auch diese politische Bewegung keinen Führer, sondern verläuft spontan und mit flachen Hierarchien.
All diese Revolten eint politisch wie sozial ein gemeinsamer roter Faden. Die Argentinier im Jahr 2001 wollten sich ebenso wie ihre arabischen Brüder heute nicht nur gegen korrupte Politiker oder Gestalten wie Menem, Ben Ali oder Mubarak zur Wehr setzen. Sie wollen endlich dem Dunkel der neoliberalistischen Nacht entfliehen, das sich auf ihre Länder gesenkt hat, weil ein bestimmter Regierungsstil sich mittlerweile weltweit durchgesetzt hat. Die Revolution richtet sich eben gegen diese schlechte Regierungsführung auf internationaler Ebene.
Das politische System, das aus diesen Revolten hervorgegangen ist, ist als Antwort darauf zu verstehen, eine Antwort, die aus jenen Ländern kommt, in denen das Volk von jedem Einfluss auf Wirtschaft und Politik ausgeschlossen ist. Die Tragödie in Argentinien 2001 öffnet den Menschen in Lateinamerika die Augen. Die Bevölkerung steht auf gegen die Sparpolitik, die der IWF Ländern wie Uruguay, Peru und Paraguay aufzwingt. Die neuen politischen Führer gestehen endlich offen ein, dass das neoliberalistische Modell in den Händen der westlichen Elite eine echte Gefahr darstellt. Und so fängt man an den Rändern des Imperiums an, mit gemischten Modellen zu experimentieren: die neoliberalistischen Strategien werden durch
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