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Der Fledermausmann

Der Fledermausmann

Titel: Der Fledermausmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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helfen!«
    Joseph kniff die Augen zusammen und schlug sich mit der Faust gegen die Stirn, wobei er laut jammerte.
    »Das ist so verdammt dunkel in diesem Park, so daß ich ja nicht so viel sehen konnte. Ich glaube, er war ziemlich groß.«
    »Dick, dünn, hell, dunkel? Hat er gehinkt oder eine Brille getragen? Einen Bart oder einen Hut?«
    Joseph verdrehte als Antwort die Augen.
    »Do ya habe a fig, wate? Makes me kinda think better, ya know.«
    Aber auch nicht alle Zigaretten der Welt konnten den alkoholischen Nebel wegpusten, der Josephs Gehirn vernebelte. Harry gab ihm den Rest seines Zigarettenpäckchens und bat ihn, Mikke, wenn er wieder wach war, zu fragen, ob er sich an etwas erinnerte. Auch wenn er nicht damit rechnete, daß dabei etwas herauskommen würde.
     
    Als Harry wieder zurück in Birgittas Wohnung kam, war eshalb zwei Uhr nachts. Lebie saß am Funkgerät und sah Harry mitfühlend an.
    »Gave it a burls, did ya? No good, ay?«
    Harry verstand nicht ein einziges Wort, nickte aber zustimmend.
    »No good«, brummte er und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
    Harry suchte nach einer Zigarette, bis ihm einfiel, daß er die Schachtel ja Joseph gegeben hatte.
    »Ziemlich chaotisch. Wadkins ist kurz davor, vollkommen durchzudrehen, und in halb Sydney rasen sie jetzt wie aufgescheuchte Hühner mit Blaulicht herum. Das einzige, was sie von White wissen, ist, daß er gestern morgen in Nimbin aufgebrochen und mit dem Fire- Flight nach Sydney geflogen ist. Danach hat ihn keiner mehr gesehen.«
    Er ließ sich von Lebie eine Zigarette geben, und beide rauchten schweigend.
    »Geh nach Hause und schlaf ein bißchen, Sergej. Ich bleibe hier für den Fall, daß Birgitta doch noch auftaucht. Laß das Funkgerät an, damit ich alles mitbekommen kann.«
    »Ich kann auch hier schlafen, Harry.«
    Harry schüttelte den Kopf. »Geh nach Hause! Ich rufe dich an und wecke dich, wenn es etwas Neues gibt.«
    Lebie setzte sich seine Bears-cap auf seinen blankpolierten Schädel. An der Tür blieb er noch einen Augenblick stehen.
    »Wir werden sie finden, Harry. Ich spüre das irgendwie. So hang in there, mate.«
    Harry schaute Lebie an. Es war schwer zu sagen, ob er wirklich glaubte, was er sagte.
    Sobald er alleine war, öffnete er das Fenster und ließ seinen Blick über die Hausdächer schweifen. Es war kühler geworden, aber die Luft war noch immer mild und voller Gerüche: Stadt, Menschen und Essen aus aller Herren Länder. Es war eine der schönsten Sommernächte der Welt in einer der schönsten Städte der Welt. Er schaute zu den Sternen hoch.Eine Unendlichkeit kleiner blinkender Lichter, die zu leben und zu pulsieren schienen, wenn er sie nur lange genug anschaute. All diese sinnlose Schönheit.
    Vorsichtig versuchte er, seine eigenen Gefühle auszuloten. Vorsichtig, weil er sich nicht erlauben konnte, sich ihnen hinzugeben. Noch nicht, jetzt noch nicht. Zuerst die guten Gefühle. Nur ganz wenig. Er wußte nicht, ob sie ihn stärker oder schwächer machen würden. Birgittas Gesicht zwischen seinen Händen, die Reste eines Lachens, das noch in ihren Augen lag. Dann die schlechten Gefühle. Sie waren es, die er noch für eine Weile aus seinem Leben verdammen mußte, aber er versuchte, ihnen nachzuspüren, wie um sich einen Eindruck von ihrer Kraft zu verschaffen.
    Er hatte das Gefühl, in einem U-Boot am Boden eines viel zu tiefen Meeres aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit festzusitzen. Das Meer erhöhte den Druck, und um ihn herum begann es bereits zu knacken und knirschen. Er konnte nur hoffen, daß der Bootskörper das aushielt, daß das lebenslange Training der Selbstbeherrschung endlich zu etwas nütze war. Harry dachte an die Seelen, die zu Sternen wurden, wenn der menschliche Körper starb. Aber es gelang ihm nicht, nach einem ganz speziellen Stern zu suchen.

 
    19 Zwei Gespräche mit einem Mörder,
    ein Kookaburra und REM-Schlaf
     
     
    N ach dem Unfall hatte Harry sich wiederholt gefragt, ob er sein Schicksal getauscht hätte, wenn er es gekonnt hätte. So daß er es gewesen wäre, der den Pfosten des Schildes am S ør kedalsvei verbogen, eine zeremonielle Beerdigung mit uniformierten Polizeikräften und trauernden Eltern erhalten hätte, ein Foto im Flur des Polizeipräsidiums und eine mit der Zeit verblassende, aber liebevolle Erinnerung bei Kollegen und Verwandten. War das nicht eine verlockende Alternative zu den Lügen, mit denen er leben mußte und die auf vielerlei Weise noch erniedrigender waren als

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