Der fliegende Brasilianer - Roman
jeden Tag neu, erwächst aus den erlesenen Speisen, aus dem Bukett der Weine.
Er ist schwermütig, gleichgültig, verletzt und weiß nicht, warum.
Er muss weg von diesem beklemmenden Ort, wo die Blicke durch die Menschen hindurchgehen und auf keinem verweilen. Wo seine Seele sich verflüchtigt und der Morgen wie eine gläserne Wand ist, durch die er die Wiederholung des Heute, des Gestern in einer endlosen Folge von eitlem Tun erlebt.
Am 14. Februar 1902 hat er einen Unfall. Um ein Haar wäre er ertrunken, und das Luftschiff wird total zerstört.
Er packt seine Koffer, verabschiedet sich vom Herzog von Dino und bittet um eine Audienz beim Fürsten.
Auf der Rückfahrt im Zug nach Paris ist Alberto voll düsterer Gedanken und Scham.
Petitsantôs bewahrt die Erinnerung an Monaco wie getrocknete Blätter in einem Herbarium. Aber Alberto ist ein sehr feinfühliger Mensch, er hat Verständnis für das Verhalten des leichtlebigen jungen Mannes und weiß, dass er nichts anderes als populär sein möchte, einer, der von allen erkannt, aber aus der Ferne bewundert wird.
Alberto möchte sich jetzt engagieren, experimentieren, der unerträglichen Härte seiner Einsamkeit entfliehen.
Paris ist ein kalter Lichtstreif am Horizont.
Petitsantôs wird reifer werden müssen, damit er weiterleben kann.
Teil II
Die Abenteuer des Dumont-Daidalos
oder Quincas Borba in Combray
1903
»Eine Schwingung schwebt dicht
über dem Wasser,
Und in meinem Herzen bebt
ein vager Schmerz.«
Fernando Pessoa
Der gestiefelte Kater Ein schöner Sommermorgen. Jardin des Tuileries. Paare sitzen friedlich auf dem Rasen, ein paar Leute spielen Boule, ausstaffierte Kindermädchen gehen unter den Blicken eines Flic auf seinem Fahrrad mit Kleinkindern spazieren. Gymnasiasten ziehen lärmend durch die Ruhe im Park. Zwischen den Kindern geht unnahbar ein Mann spazieren. Er trägt einen gestreiften Anzug, hat einen dichten Schnurrbart und auf dem Kopf einen weichen Hut mit heruntergezogener Krempe. Es könnte durchaus derjenige sein, den wir vermuten, aber seine Dickleibigkeit klärt den Irrtum schnell auf.
Der Kater mit Panamahut Boulevard des Capucines. Neben dem Eingang zu einem eleganten Restaurant unterhalten sich lebhaft drei junge Leute. Sie tragen gestreifte Jacketts, in die Stirn gezogene Hüte und haben dichte Schnurrbärte. Sie sehen wie drei getreue Reproduktionen einer wohlbekannten Gestalt aus. Auf der anderen Seite der Straße ein Mann mittleren Alters in der gleichen Kleidung, die in der Stadt Mode zu sein scheint.
Der Kater mit weißen Gamaschen Boulevard Saint Michel. Während ein hochgewachsener, schlanker junger Mann in gestreiftem Anzug und mit weichkrempigem Hut auf dem Kopf zwischen den Tilburys in die Pedale eines extravaganten Fahrrads tritt, geht ein anderer, ähnlich gekleidet, Arm in Arm mit seiner Freundin auf dem Bürgersteig entlang.
Der Kater mit Stehkragen Gare de Montparnasse. Menschen steigen geschäftig aus einem Provinzzug aus. Viele der Männer sind, obschon nicht so elegant, in der gleichen Weise gekleidet, wie es der letzte Schrei zu sein scheint. Jeder ist ein Typ für sich, aber irgendwie ähneln sie sich alle.
Der Kater am Firmament Jardin de Luxembourg. Da es ein wunderschöner Vormittag ist, herrscht in den Parkanlagen genau so ein friedlicher Betrieb wie in den Tuilerien. Auf einmal werden die Menschen unruhig und schauen hinauf zum Himmel. Sie zeigen mit den Fingern und laufen in Richtung Palais. In der Menge, die sich dabei sammelt, tragen diverse Männer die gleiche modische Kleidung. Die Menge gestikuliert, zeigt zum Himmel und verfällt allmählich scheinbar in Hypnose. Da erscheint langsam und majestätisch ein sonderbares fliegendes Gebilde mit bauchiger, eleganter Form, an dem eine zarte Konstruktion hängt, in der einsam ein Mann steht. Das fliegende Gebilde schiebt sich über das Schieferdach des Palais, das Wunderwesen in ihm ist kaum zu erkennen. Schweigend sehen die Menschen mit einer Mischung aus Faszination und Ehrfurcht zu, während das Gebilde über den blauen Himmel mit Wolkenfetzen gleitet und wenig später auf der anderen Seite des Parks hinter den Jugendstilhäusern der Rue d’Assas verschwindet. Ehe es endgültig fort ist, applaudiert die Menge, und wir sehen noch, wie das Wesen dort oben mit einem weißen Taschentuch zurückwinkt.
Der verrückte Hutmacher Von Bord des Luftschiffes Nr. 9 winkt Alberto mit dem weißen Taschentuch der Menge zu, die ihn feiert. Er
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