Der fliegende Brasilianer - Roman
Seitenstraße der Pigalle fahren, bricht Alberto das Schweigen.
Ist dieser Freund vielleicht dein Freund?
Wer, Vanderbilt?
Vanderbilt?
Wir sind Nachbarn, aber er ist nicht mein Freund. Ich habe keinen Freund.
Ich glaube, du lernst sehr schnell.
Was lerne ich?
Zu lügen. Ich glaube nicht, dass du keinen Freund hast.
Es stimmt aber, ich habe keinen.
Na gut …
Wieder verfallen sie in bedeutungsvolles Schweigen und tauschen Blicke, während das Auto durch die belebten Straßen von Paris rollt.
Weißt du was? Es ist das erste Mal, dass ich abends allein ausgehe.
Wohnt ihr in Newport?
Nur einen Teil des Jahres, wenn wir den Sommer in den Vereinigten Staaten verbringen. Wir wohnen in New York, am Central Park East. Warum?
Ich kenne Newport, ich bin bei den Astors im Haus gewesen, sie waren Geschäftsfreunde meines Vaters. Als ich im letzten Jahr in den Vereinigten Staaten war, haben sie ein Fest für mich gegeben.
Und? Hat es dir in den Vereinigten Staaten gefallen?
Mir gefällt Frankreich.
Ich mag nur New York. Newport finde ich scheußlich, da ist alles falsch und überheblich. Deshalb hat meine Mutter meinen Vater gezwungen, da ein Haus zu bauen.
Ich bin nur kurz in New York gewesen, aber die Stadt war mir überhaupt nicht sympathisch. Ich fand sie sehr schmutzig, sie sah aus, als wäre sie noch im Bau.
Du hättest länger da bleiben müssen, ich finde, das ist die aufregendste Stadt von ganz Amerika.
Meinst du? Bist du schon in Rio de Janeiro gewesen?
Nein, in Rio war ich noch nie. Merkwürdig, Rio hätte ich nie als amerikanische Stadt angesehen.
Aber es liegt in Amerika, oder nicht?
Doch, natürlich. Aber es wäre das Gleiche, als wollte man sagen, dass wir Kubaner Amerikaner sind.
Und seid ihr das vielleicht nicht?
Ich glaube doch. Kuba liegt in der Karibik, stimmt’s?
Und die Karibik gehört zu Amerika.
Aber das Wort Amerikaner wird nur auf die angewendet, die in den Vereinigten Staaten geboren sind.
Das stimmt, aber es ist mir nie so richtig bewusst geworden. Ich habe mich auch immer als Amerikaner betrachtet.
Vielleicht, weil du in Brasilien geboren bist. Brasilien ist ein großes Land, nicht wahr?
Wie groß ein Land ist, spielt überhaupt keine Rolle. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Brasilien eine Insel und noch kleiner als Kuba ist, wenn du verstehst, was ich meine.
Aber es ist ein reiches Land, nicht wahr?
Ja, sehr reich, so reich, dass wir uns angewöhnt haben, verschwenderisch zu sein.
Bist du nicht ein bisschen zu streng?
Nein, das ist die reine Wahrheit. Und es macht mich sehr traurig, weißt du.
Wenn ich an Kuba denke, werde ich auch traurig.
Fährst du oft nach Kuba?
Meine Eltern sind nach New York gezogen, als ich zwölf Jahre alt war. Danach bin ich oft zu Besuch da gewesen. Wir haben dort Landbesitz und ein Sommerhaus am Strand. In Varadero, hast du davon schon mal gehört?
Nein.
Das ist der exklusivste Strand von Havanna und wunderschön …
Du findest es gar nicht schön, reich zu sein, oder?
Und du, findest du das schön?
Ich? Darüber habe ich noch nie nachgedacht, ich meine, ich habe nie über das Geld nachgedacht, das ich besitze. Ich habe mich nie anstrengen müssen, um Geld zu verdienen.
Ich denke manchmal darüber nach, und dann revoltiert es in mir.
Unsinn, dagegen können wir nichts machen. Mein Geld, zum Beispiel, habe ich von meinem Vater geerbt. Er hat hart gearbeitet, Kaffee gepflanzt und verkauft und ist damit reich geworden. Aber eines Tages wurde er krank und saß dann gelähmt in einem Rollstuhl. Er ist traurig und verbittert gestorben …
Das tut mir sehr leid!
Bevor er starb, hat er alles, was er besaß, verkauft und das Geld unter meiner Mutter und uns Kindern aufgeteilt. Eines Tages rief er mich zu sich, ich war damals 16. Er erklärte mich für volljährig und sagte – das werde ich nie vergessen: »Hier ist dieses Kapital. Geh nach Paris, das ist ein gefährlicher Ort für einen Jungen. Und dann wollen wir sehen, wie du zu einem Mann wirst. Ich möchte nicht, dass du Lehrer wirst. Studier Physik, Chemie und Elektrizitätslehre. Studier diese Fächer, und denk immer daran, die Zukunft der Welt liegt in der Mechanik. Für deinen Lebensunterhalt brauchst du nicht zu sorgen, ich werde dir genug zum Leben hinterlassen.« Ich glaube, meine Mutter hat nie verstanden, warum er das getan hat.
Und du, hast du das verstanden?
Ich weiß nicht, ich bin mir nicht sicher. In dem Jahr vor seinem Anfall war ich sehr viel mit ihm
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