Der fliegende Brasilianer - Roman
leistungsfähigen Motoren eine Konstruktion, die ihm größtmögliche Stabilität verleiht. Die Entscheidung für den Typ Canard mit Flügel, Motor am Heck und Stabilisator am Bug trägt dazu bei, dass der Apparat leichter abheben kann, birgt aber immer noch viele Stabilitätsprobleme. Aus diesem Grund bemüht Alberto sich, in der Praxis zu erkunden, wie der Apparat sich am besten steuern lässt.
Jeden Tag lässt er ein Drahtseil über das Hangargelände spannen und die Nr. 14 daran aufhängen. Er steigt in den Apparat, zündet den Motor und kämpft stundenlang mit der störrischen Maschine. Manchmal dreht sie sich, dann wieder zeigt sie die Tendenz zu gefährlichen Schwankungen. Nach und nach entwickelt er eine ungewöhnliche Methode, mit seinen Körperbewegungen den instabilen Apparat unter Kontrolle zu halten. Jetzt muss er nur noch richtig fliegen.
Ein begehrlicher Erfinder Alberto forscht weiter. Er nimmt kaum die geschmückten Fenster und den vorweihnachtlichen Betrieb in den Straßen wahr. Wenn er das Haus verlässt, sieht man ihn häufig etwas auf einem Block in der Hand notieren oder in Gedanken vertieft. Eines Nachmittags, als er in Montmartre unterwegs ist und einen Jungen beobachtet, der seinen Papierdrachen steigen lässt, tippt ihm jemand auf die Schulter. Es ist Nana.
Sie? Und wie man sieht, bei bester Gesundheit, ist seine Reaktion.
Ich fühle mich so gut wie noch nie. Aber Sie sehen erschreckend aus. Als ob sie seit einem Monat nicht geschlafen hätten …
Alberto streicht sich über das Gesicht, als wolle er sein erschöpftes, übernächtigtes Aussehen wegwischen.
Kommen Sie, wir trinken einen Grog … Es ist kalt …
Eine gute Idee … Da drüben ist ein Bistro.
Nein, in meiner Wohnung. Ich wohne hier in der Nähe …
Geht das denn? Und was ist mit Ihrem lieben Bruder, dem Schlachter?
Nana Lantelme lacht los.
Sie meinen, der existiert gar nicht?
Ich weiß nicht, aber ich möchte nicht das unangenehme Erlebnis haben, die Wahrheit zu erfahren …
Sie nimmt Alberto am Arm und führt ihn zu einem Haus in der Rue Lepic.
Das Kuckucksnest Die Wohnung ist nur ein kleines Apartment, fast ein Studio, aber viel zu üppig möbliert und voller Teppiche. Nana hat beim Öffnen der Tür einige Mühe und bewegt sich, als wäre ihr die Umgebung wenig vertraut.
So, jetzt mache ich den Grog, mal sehen …
Alberto geht auf und ab und erkundet die Wohnung. Die Lantelme ist in der Küche verschwunden, deshalb wagt er sich ins Schlafzimmer vor. Die Wohnung ist perfekt aufgeräumt, nichts scheint herumzuliegen, so als wäre sie nicht bewohnt. Im Schlafzimmer befingert Alberto die Gegenstände auf einer schmucklosen Frisierkommode, sein Blick fällt auf einen Kleiderschrank. Die Tür ist nicht verschlossen, er öffnet sie. Wie er vermutet hat, befindet sich keine Damenkleidung darin, nur ein paar Herrenkleidungsstücke, sicherlich von dem Eigentümer der Wohnung, der sie aus irgendeinem Grunde selten benutzt. Mit zwei Gläsern in der Hand überrascht Nana Alberto beim Inspizieren des Kleiderschranks.
Diese Kleidung gehört sicherlich dem jungen Schlachter, ja?
Die Lantelme wirft mit einem Glas nach Alberto. Er weicht behände aus, das Glas zerschlägt an der Wand.
Ehe sie das zweite Glas werfen kann, geht Alberto auf sie zu und packt sie energisch an den Handgelenken. Sie wehrt sich, schreit laut und deutlich, dass sie ihn hasse, und tritt ihn schließlich ans Schienbein. Vor Schmerzen hüpfend, versucht Alberto, dem misshandelten Bein mit Massagen Linderung zu verschaffen, und bringt kein Wort heraus. Die Lantelme öffnet die Tür und wirft einen humpelnden, sprachlosen Alberto hinaus.
Winterritual Draußen hinkt Alberto davon. Er überquert die Straße und wirft noch einmal vom gegenüberliegenden Bürgersteig einen Blick auf die Fenster der Wohnung. Er bleibt nur ein paar Sekunden stehen, dann geht er in das Bistro, das fast direkt gegenüber der Wohnung liegt. Er setzt sich, stößt einen Seufzer aus und reibt sich das schmerzende Bein. Er bestellt ein Getränk und trinkt es in kleinen Schlücken, lässt aber das Fenster nicht aus den Augen. Stunden vergehen, dann erscheint ein Mann. Er ist kräftig und trägt einen dichten Kinnbart und Schnäuzer. Ohne im Geringsten zu zögern, betritt er das Haus, und Albertos Neugier wächst. Gleich darauf kann er sehen, wie die beiden am Fenster miteinander sprechen, ihre Silhouetten sind durch die Tüllgardine deutlich zu erkennen. Albertos
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