Der Fliegende Holländer
mit einem anderen Menschen reden zu können, war ihm einfach zu Kopf gestiegen.
Falls Sie sich fragen, was aus dem jungen Deutschen wurde, kann ich Sie beruhigen. Nach zwei, drei Monaten aufopfernder Pflege befand er sich auf dem Weg der Besserung und komponierte während seines Lebens so berühmte Meisterwerke wie Lohengrin, Götterdämmerung oder Parsifal. Bis zu seinem Tode geriet er allerdings insbesondere in Gegenwart von Fremden leicht aus dem seelischen Gleichgewicht, und wenn man zufällig Philipp den Zweiten von Spanien erwähnte, bekam er stets krampfartige Lachanfälle, die nur durch Morphiuminjektionen zu beheben waren. Im Gegensatz zu dem verhinderten Hochzeitsgast wurde er aber nie alkohol- oder drogenabhängig, und seine inhaltlich stark verfälschte Version des Fliegenden Holländers ist wahrscheinlich nicht ernsthaften Spätfolgen zuzuschreiben, sondern vielmehr künstlerischer Freiheit oder einem schlechten Gedächtnis.
4. KAPITEL
Der rundliche junge Mann ist mittlerweile zwei Jahre älter, um einige Zentimeter rundlicher und hat sich zum Juniorpartner der Firma Moss Berwick gemausert. Merkwürdigerweise waren an dem Abend vor neun Wochen, als ihm Mr. Clough und Mr. Demaris diese wunderbare Nachricht mitgeteilt hatten, keine Kometen am Himmel zu sehen gewesen; als einzig mögliche Erklärung dafür man die Tatsache dienen, daß es sich um eine trübe Nacht gehandelt hatte und die himmlische Botschaft von außerplanmäßigen Kumuluswolken verdeckt worden war. Solche Dinge passieren nun einmal im Leben, und wir müssen uns damit abfinden.
Obwohl man den rundlichen jungen Mann (dessen Name übrigens Craig Ferrara lautete) zum Teilhaber gemacht hatte, war es noch nicht für angebracht gehalten worden, ihn über das sogenannte Ding zu informieren; zumindest hatte man ihm nicht erzählt, worum es sich dabei drehte, und lediglich eine Bemerkung zu diesem Thema fallenlassen, mehr aber auch nicht. Seit ihm der Zugang zu geheimen Dateien gestattet war, die in der Firma ganz allgemein als ›unanständige Bits‹ bezeichnet wurden, wußte Craig Ferrara aber trotzdem davon.
Moss Berwicks Computer war ein wundervoller Apparat. Offiziell befand sich sein Standort in der Stadt Slough, aber wie Gott war er allgegenwärtig und natürlich allwissend. Im Gegensatz zu Gott konnte man ihn von jedem der unzähligen firmeneigenen Büros aus anrufen und – wenn man ein Angeber war wie Craig Ferrara – sogar vom Auto aus. Man konnte ihm Fragen stellen. Manchmal antwortete er, manchmal auch nicht; das hing ganz davon ab, ob er wollte – wohlgemerkt: wollte und nicht konnte. Es bedürfte unverhältnismäßig hohen Einfallsreichtums, sich eine vernünftige Frage auszudenken, die der Computer nicht beantworten könnte, selbst wenn er wollte. Er wüßte sogar auf die normalerweise gesprächstötenden Fragen des Kanzelredners John Donne eine Antwort, wo alle die verlorenen Jahre geblieben seien und wer dem Teufel den Fuß gespalten habe – und das trotz der Tatsache, daß der Teufel (bis heute) nicht einmal Mandant bei Moss Berwick ist.
Um dem Computer solch hochtrabende Fragen stellen zu können, muß man zu einem auserlesenen Personenkreis gehören. Nur jemand, der im Besitz eines Paßworts ist, stößt bis zu diesem Teil des Computers vor. Alles, was gewöhnliche Menschen wie Jane Doland aus ihm herausholen können, ist zum Beispiel eine Menge Unfug über den Einzelhandelspreisindex vom März 1985. Seit ihrer Rückkehr aus Bridport hatte sie solch einen Blödsinn natürlich kein einziges Mal versucht, und obwohl Craig Ferrara nichts davon wußte, waren Janes Aufenthalt in Bridport und dessen Folgen der Hauptgrund, weshalb man ihn zum Teilhaber gemacht hatte.
Craig Ferrara war auch nur ein Mensch, und deshalb hätte er natürlich zu gern gewußt, worum es sich bei diesem ominösen Ding eigentlich handelte. Jedoch war ihm von Mr. Clough und Mr. Demaris unmißverständlich klargemacht worden, daß dies nicht wirklich in seinem Interesse liegen könne; und obwohl er nun, rein rechtlich gesehen, sämtliche Freuden, Nöte und finanziellen Verpflichtungen mit ihnen teile, sei er bestimmt nicht so dumm zu glauben, daß man ihm durch eine rein juristische Floskel das Recht verliehen habe, ihnen zusehr auf den Pelz zu rücken. Er solle sich gegenüber dem Ding am besten wie ein unwissender Beschützer verhalten. Sobald irgendein Mitarbeiter seiner Abteilung ein übertriebenes Interesse an irgend etwas entwickelte, das
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