Der Fliegende Holländer
Stimme. »Wir rechnen keinesfalls vor nächster Woche mit seiner Rückkehr. Wollen Sie bis dahin warten?«
»Nein, nein, das geht nicht. Aber haben Sie vielleicht eine Nummer, unter der ich ihn …«
»Könnten Sie bitte lauter sprechen?« bat die Stimme. »Die Verbindung ist wirklich sehr schlecht.«
»Haben Sie vielleicht eine Nummer, unter der ich den Professor in Genf erreichen könnte?« wiederholte Vanderdecker langsam und deutlich. Die Stimme antwortete, sie habe leider keine Nummer, aber vielleicht könne sie ja die Nachricht entgegennehmen. Vanderdecker bedankte sich und legte auf.
Selbst auf seinen veralteten Karten war Genf eindeutig weitab vom Meer eingezeichnet. Nicht vom Wasser, aber vom Meer. Alles in allem schien es keine gute Idee zu sein, den Versuch zu wagen, den Professor dort zu erwischen. Vanderdecker drückte auf den Geldrückgabeknopf, aber es kam kein Wechselgeld in das mit ›Münzrückgabe‹ beschriftete Kästchen herabgepurzelt. Also bliebe wohl nichts anderes übrig, als für kurze Zeit in See zu stechen, bis der gute Professor wieder zurückkehrte.
Ungefähr zum siebentausendstenmal versicherte sich Vanderdecker, daß dem Alchimisten genausoviel an einer Begegnung mit ihm liegen werde, wie es seinerseits der Fall war. Sollte sich Montalban zur Zeit auch nur entfernt mit demselben Forschungsgebiet befassen wie unter der Regierung Seiner Höchst Katholischen Majestät Philipp des Zweiten, würde er logischerweise die Gelegenheit nutzen wollen, seine allerersten menschlichen Versuchskaninchen untersuchen zu können. Durch die Lektüre von Fachzeitschriften hatte Vanderdecker eine Menge über die Denkweise von Wissenschaftlern gelernt – sie liebten es, mit einer wahren Flut von Daten und Fakten überschüttet zu werden. Und auf Vanderdeckers Schiff wimmelte es nur so von Daten und Fakten. Klar, die waren eklig und rochen übel, aber …
In diesem Moment schoß Vanderdecker ein Gedanke durch den Kopf, der sich während seiner kurzen Entwicklungsphase mehr oder weniger auf die gleiche Weise bemerkbar machte wie eine Handgranate in einer Glasfabrik.
Wenn Montalban genau dieselbe Flüssigkeit getrunken hatte wie Vanderdecker, mußten beim Alchimisten aller Wahrscheinlichkeit nach auch genau dieselben Nebenwirkungen aufgetreten sein. Dennoch war er, während er eine Woche hier und vierzehn Tage dort verbrachte, offenbar ständig von Menschen umgeben. Sehr wahrscheinlich war er sogar per Flugzeug nach Genf geflogen und übernachtete während seines dortigen Aufenthalts in einem Hotel. Wenn für ihn aber solche Dinge möglich waren, dann folgte notwendigerweise daraus, daß er nicht roch. Wie konnte das angehen?
In Caithness fährt ein Großteil der Postboten immer noch mit dem Fahrrad. Wenn ihnen ohne Vorwarnung der Wind aus der Richtung eines Besatzungsmitglieds des Segelschiffs Verdomde entgegenschlägt, neigen sie leicht dazu, vom Weg abzukommen und gegen Bäume zu prallen. Der Klang eines Postbotenschädels, der mit einer Waldkiefer Bekanntschaft machte, riß Vanderdecker aus seinen Tagträumen. Der Fliegende Holländer war wieder einmal in keiner geselliger Stimmung, und es war sowieso höchste Zeit, sich auf die Socken zu machen.
Die Schiffsbesatzung hatte sich während der Abwesenheit des Kapitäns die Zeit damit vertrieben, im Meer zu schwimmen. Vollständiges Eintauchen im Wasser trug zwar überhaupt nichts zur Eindämmung der Geruchsausbreitung bei, aber man fühlte sich wenigstens besser. Das Wasser im Umkreis von Dounreay war von der Atombehörde und den Betreibern des Kernkraftwerks für vollkommen unbedenklich erklärt worden, was man auch so interpretieren kann, daß das Baden dort etwa so ungefährlich ist wie ein Kasatschok in einem Minenfeld. Doch vom Standpunkt der Besatzung Vanderdeckers sprach gerade dieser Punkt zugunsten des Wassers: Wenn es schon völlig verseucht war, konnten sie wenigstens reinen Gewissens darin baden.
Durch eine seltsame Laune des Zufalls war es ausgerechnet Antonius, der Erste Maat, der es zuerst bemerkte, und das, obwohl die Wahrscheinlichkeit, daß Antonius überhaupt mal etwas bemerkte, so ungeheuer gering war, daß man sie gar nicht mehr berechnen konnte. Der nächste, dem es auffiel, war Sebastian van Doorning. Er bemerkte es nur, weil er nach dem neunten Selbstertränkungsversuch derart außer Atem war, daß er die Luft wie eine Vakuumpumpe einsog. Dann stellten es auch Pieter und Dirk Pretorius fest, und diese beiden machten Jan
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