Der Fliegende Holländer
Christian Duysberg darauf aufmerksam. Dieser wiederum erwähnte es gegenüber Wilhelm Triegaart, der ihm jedoch entgegenhielt, daß alles nur Einbildung sei. Kurz gesagt, bis zu Vanderdeckers Rückkehr hatte es schließlich selbst der letzte bemerkt. Unglücklicherweise entschlossen sich alle gleichzeitig, den Kapitän über die sensationelle Neuigkeit zu unterrichten.
»Jetzt mal langsam, bitte!« fuhr Vanderdecker energisch dazwischen. Es trat eine kurze, aber absolute Stille ein, und dann redeten wieder alle wild durcheinander.
»Ruhe!« brüllte Vanderdecker – jemand, der gerade fünf Minuten damit verbracht hat, ein Gespräch mittels eines Münzfernsprechers der British Telecom zu führen, hat jede Scheu abgelegt, sich Gehör zu verschaffen. Er griff sich einfach irgend jemanden heraus und fuhr in etwas ruhigerem Ton fort: »Sebastian, kannst du mir bitte erklären, was hier vorgeht?«
»Es ist der Gestank, Käpt’n«, antwortete der unfreiwillig zum Wortführer ernannte Drückeberger vom Dienst. »Er ist verschwunden.«
Vanderdecker machte große Augen. Dann schnüffelte er so heftig herum, daß er sich dabei fast die Luftröhre verrenkt hätte.
»Wann ist das passiert?« fragte er leise.
»Das muß passiert sein, während wir alle im Meer gebadet haben«, erwiderte Sebastian.
»Was du nicht sagst.« Vanderdecker schloß die Augen, vergrub die Nase in Antonius’ Wams und konzentrierte sich. Es war zwar immer noch eine leichte Spur des Geruchs vorhanden, aber wirklich nur sehr schwach. »Dieses Wasser hier?«
»Genau«, versicherten ihm gleich mehrere Stimmen. Andere drängten ihn, selbst einen Versuch zu wagen. Sie wollten keinesfalls ausfallend werden, versicherten sie, aber er rieche einfach entsetzlich.
Vanderdecker brauchte keine zweite Einladung. Er zog Hemd und Hose aus und sprang ins Meer.
»Ich glaube, ihr habt recht«, sagte er, als er sich eine Viertelstunde später wieder an Bord befand. Auf dem Schiff selbst roch es so übel wie immer, aber was sollte man da schon anderes erwarten? »Es stinkt zwar immer noch, aber der Geruch ist ein ganzes Stück schwächer geworden.«
»Was ist deiner Meinung nach passiert?« fragte der Erste Maat ängstlich. »Was geht hier vor?«
Vanderdecker hatte das bestimmte Gefühl, daß es sich keineswegs um einen Zufall handelte. Zwar verstand er nicht besonders viel von solchen Dingen, aber es stand außer Zweifel, daß das Meerwasser in der Nähe des Kraftwerks eine nicht unbeträchtliche Menge austretender Dünste und ähnlicher Substanzen absorbierte. Noch bis vor wenigen Tagen hatte Professor Montalban in genau diesem Kraftwerk Experimente durchgeführt. Wenn das Zufall sein soll, dann bin ich kein Holländer, dachte Vanderdecker.
Eine Stunde später war alles vorbei. Der gierige Möwenschwarm, der sich über dem Schiff gebildet hatte, löste sich plötzlich wieder in Luft auf. Einmal mehr verbreiteten die Rauchschwaden aus Wilhelm Triegaarts ekelhafter Pfeife noch den lieblichsten Duft an Bord. Da Vanderdecker sein Bad später genommen hatte als die übrige Mannschaft, roch er noch von allen am bekömmlichsten, aber auch nur um Nuancen. Trotzdem wäre ihm sofort der Zutritt zu jedem modernen Abwasserkanal verwehrt worden, da man ihn als Gesundheitsrisiko eingestuft hätte.
»Holt alle leeren Fässer her, die ihr finden könnt«, ordnete er an. »Dann laßt sie an der Stelle mit Meerwasser vollaufen, wo wir vorhin alle gebadet haben.«
Antonius, ein gewissenhafter Mann, hielt es für seine Pflicht, Vanderdecker darauf aufmerksam zu machen, daß man Meerwasser nicht trinken dürfe. Vanderdecker überhörte diesen Hinweis höflich, denn er war mit seinen Gedanken schon längst woanders.
Jetzt gibt es nur noch eins, dachte er wild entschlossen. Genf kann von mir aus auf dem höchsten Gipfel der Alpen liegen – wenn wir nur für ein paar Tage den Geruch loswerden, könnten wir es bis nach Genf schaffen und Montalban aufsuchen.
Da wir gerade beim Thema Zufall sind: Wie könnte man es sich sonst erklären, daß der zweitgrößte Einbruch des Dow-Jones-Index seit zwei Jahrzehnten ausgerechnet an diesem Nachmittag ausgelöst wurde?
Der direkteste Wasserweg von Dounreay nach Genf führt eigentlich geradewegs die Nordsee hinunter und in den Kanal hinein. Vanderdecker kreuzte jedoch nur äußerst ungern irgendwo in der Nähe des Kanals, da es dort heutzutage auf geradezu bedrückende Weise nur so von Schiffen wimmelte. Deshalb nahm er Kurs auf Den
Weitere Kostenlose Bücher