Der Fliegende Holländer
einen gewissen Charme, mit dem er bei dieser Gelegenheit allerdings keinerlei Wirkung erzielte. Sein Partner Mr. Clough, der zwar genauso groß, aber beängstigend dick war und die würdevolle Haartracht eines graumelierten Senators hatte, war mit einer Stimme gesegnet, die man wahrscheinlich noch in Inverness hören konnte, und hatte ebenfalls Charme. Erstaunlicherweise schien er Kusine Shirley zu gefallen, da sie ihn freundlich anlächelte, als sie den dreien Zutritt gewährte.
Jane fiel auf, daß sich Julian, der strickend vor dem Kamin saß, seit der Hochzeit verändert hatte. Er wirkte auf sie wie eine in Salzlauge eingelegte Nacktschnecke, und sie schätzte, daß es noch ungefähr ein Jahr dauern würde, bis man direkt durch ihn hindurchsehen könnte. Sein Entschluß, eine vielversprechende Karriere in der Werbebranche aufzugeben, um einfache Kleidungsstücke aus Schafwolle zu fertigen, war nicht dem Wunsch entsprungen, die weitverbreitete Ansicht zu bestätigen, daß Geld allein nicht glücklich macht, sondern vielmehr dem Gefühl, irgendwann vom ständigen Konkurrenzkampf aufgerieben zu werden. Lieber Gott, was ist nur aus deinen Schäfchen geworden?
Einen Augenblick lang kam Jane der Gedanke, sich unter den Schutz Julians zu stellen und ihn zu bitten, die beiden ekelhaften Männer fortzuschicken, aber ein kurzer Blick auf ihren angeheirateten Vetter raubte ihr sämtliche Illusionen. Seine Reaktion auf das überraschende Eindringen zweier Fremder in sein Wohnzimmer äußerte sich in einem kurzen ›Hallo‹ und der umgehenden Wiederaufnahme seiner strickenden Tätigkeit. Mr. Clough setzte sich in einen Sessel, der ihm noch am wenigsten unbequem vorkam, und Mr. Demaris lehnte sich mit dem Rücken gegen den Kaminsims. Jane ließ sich auf einer Fußbank nieder, und als sie bemerkte, daß Kusine Shirley das Zimmer verlassen hatte, dankte sie Gott, daß er hin und wieder ein Einsehen mit ihr hatte.
Falls Jane nun peinliches Schweigen erwartet hatte, lag sie gründlich falsch. Männer, die für ihre Arbeitszeit mehr als dreihundert Pfund pro Stunde veranschlagen, schweigen selten länger als für die Dauer des ersten Einatmens.
»Sie sind heute nicht im Büro gewesen«, stellte Mr. Clough richtig fest.
»Stimmt, schließlich stehen mir noch ein paar Tage Urlaub zu«, verteidigte sich Jane.
»Das ist nur recht und billig, aber das nächstemal sollten Sie das vielleicht lieber vorher mit Craig Ferrara abklären«, schlug Mr. Demaris vor.
»Da haben Sie wohl recht. Aber Sie sind doch bestimmt nicht den ganzen Weg hierhergekommen, um mir das zu sagen, oder?« erkundigte sich Jane mit zittriger Stimme. »Oder sind Sie rein zufällig in der Nähe gewesen?«
Kusine Shirley war nun auch wieder im Zimmer. Sie hatte Mr. Clough eine Tasse Tee gebracht. Nur diese eine Tasse. Den Tee hatte sie nicht umgerührt, und die Milch schwamm wie eine graue Regenwolke etwa einen Zentimeter unter der Oberfläche.
»Wir fliegen noch heute abend nach London zurück«, sagte Mr. Demaris. »Wenn Sie wollen, nehmen wir Sie gern mit.«
»Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, aber ich will Ihnen auf keinen Fall irgendwelche Umstände machen«, wehrte Jane mit vorgetäuschter Dankbarkeit ab.
Mit schlurfenden Schritten gesellte sich Kusine Shirley wieder zu ihnen und bot Mr. Clough einen Teller mit sehr hartem Gebäck an. Ohne auf den Teller zu schauen, nahm er ein Plätzchen, steckte es sich in den großen Mund und nuschelte: »Sie haben die Bridport-Angelegenheit hervorragend bewältigt, aber ich denke, wir sollten von nun an lieber gemeinsam daran arbeiten.« Dann nahm er sich ein zweites Plätzchen und zermalmte das andere, das er bereits im Mund hatte, mit einer einzigen Bewegung seiner gewaltigen Kiefer zu Pulver.
»Ich halte das auch für das beste«, stimmte ihm Mr. Demaris erwartungsgemäß zu. »Damit wir uns nicht falsch verstehen, Miß Doland: Es hat uns wirklich zutiefst beeindruckt, wie Sie die Sache behandelt haben. Aber wir müssen sehr umsichtig damit umgehen, finden Sie nicht?«
Jane hatte sich fest vorgenommen, sich zur Wehr zu setzen, aber ihre Willenskraft schmolz wie eine Kerze im Mikrowellenherd dahin. »Wie haben Sie mich überhaupt gefunden?« fragte sie.
Mr. Clough erhob sich lächelnd und antwortete nur: »Nun gut, da das geklärt wäre, sollten wir uns lieber auf den Weg machen. Danke für den Tee, Missis Regan, und wegen dieser anderen Geschichte werden wir Sie und Ihren Gatten zu gegebener Zeit
Weitere Kostenlose Bücher