Der Fliegende Holländer
Helder.
Noch einer dieser verflixten Zufälle: Als Vanderdecker von Schottland aus in See stach, lief am gleichen Tag zur gleichen Stunde auch das Motorschiff Erdenkrieger, Flaggschiff der Umweltschutzorganisation Green Machine, aus dem Hafen von Den Helder mit Kurs auf Dounreay aus. Die Fahrt des Schiffs wurde ein wenig durch die Ladung von sechstausend Tonnen leicht angewelkter Blumen beeinträchtigt, die von Green Machines militanter holländischer Schwesterorganisation Unilaterale Tulpe gespendet worden waren. Mit diesen Blumen hatte die Besatzung der Erdenkrieger vor, die Abwasserrohre des neuerbauten Reaktors der fünften Generation zu verstopfen, dessen Konstruktion und Installation gegenwärtig von Professor Montalban (in UmweltschützerInnenkreisen besser bekannt als der Große Satan) überwacht wurden. Wegen dieser Ladung war die Erdenkrieger leider nicht so spritzig wie sonst und kam ungefähr so schnell voran wie beispielsweise ein Handelsschiff aus dem sechzehnten Jahrhundert unter vollen Segeln.
»Es geht also um die Vanderdecker-Police«, sagte Mr. Gleeson.
Mr. Gleeson entsprach überhaupt nicht Janes Vorstellung, aber damit hätte sie auch gar nicht rechnen sollen, zumindest dann nicht, wenn sie auch nur einen kleinen Moment lang darüber nachgedacht hätte. Was sie hingegen hätte erwarten müssen, war ein ungewöhnlicher Mann – und das war Mr. Gleeson wegen seiner vielen Unzulänglichkeiten ganz bestimmt.
Er war klein, vielleicht knapp anderthalb Zentimeter kleiner als Jane, die eine lichte Höhe von einem Meter sechzig aufwies. Er war rundlich, aber nicht richtig dick, und auf seinem Kopf wuchsen die Haare wie Gras auf einem Bergwipfel: spärlich, kurz und spröde. Er hatte strahlende Augen, mit denen er seine Umgebung sofort erfaßte, und sein Lächeln verriet einem, daß er selbst zwar jederzeit zu Scherzen aufgelegt war, keinesfalls aber über fremde Witze lachen würde. Zu neunzig Prozent wirkte er wie irgendein netter Onkel, aber man wurde das Gefühl nicht los, daß die restlichen zehn von einem reinrassigen Barrakuda stammten.
»Ich weiß nicht, wieviel Sie schon selbst herausgefunden haben«, fuhr Mr. Gleeson fort, »und deshalb beginne ich wohl am besten von vorn. Darf ich Ihnen vielleicht irgend etwas anbieten, bevor wir anfangen? Eine Tasse Tee? Gin Tonic? Einen Sherry?«
Jane war noch nie zuvor in Mr. Gleesons Büro gewesen, und sie fühlte sich hier überhaupt nicht wohl. Es war ein irritierender Raum: gerade noch so gemütlich, daß man sich allmählich wie zu Hause fühlte, aber andererseits wiederum so funktionell eingerichtet, daß einem schlagartig bewußt wurde, wie unzutreffend diese Empfindung war. Jane besaß genügend Wahrnehmungsvermögen, um zu begreifen, daß es sich hierbei um eine durchaus beabsichtigte Wirkung handelte.
»Nein danke«, erwiderte sie, obwohl ihr Mund wie Schmirgelpapier war.
Mr. Gleeson lehnte sich im Sessel zurück und betrachtete einen Moment lang seine Fingernägel. »Die Vanderdecker-Police«, sagte er schließlich, »ist das größte und somit allerwichtigste Geheimnis, das die Welt je gesehen hat. Ich möchte Sie keineswegs unnötig beunruhigen, aber wenn Sie heute abend durch diese Bürotür hinausgehen, besitzen Sie ausreichende Informationen, um jedes große Geldinstitut zu liquidieren und die gesamte Weltwirtschaft zu destabilisieren. Ich hab mir nur gedacht, Sie sollten das von vornherein wissen. Sie können doch hoffentlich ein Geheimnis für sich behalten, oder?«
Jane murmelte eine Bestätigung, und Mr. Gleeson nickte zufrieden. Er nahm ihr das Versprechen in diesem Punkt durchaus ab; schließlich war er ein guter Menschenkenner, der die Gedanken seines Gegenübers praktisch lesen konnte.
»Eigentlich gehe ich nur ein geringes Risiko ein, wenn ich Sie in diese Geschichte einweihe, weil sie Ihnen sowieso niemand glauben würde, falls Sie vorhaben sollten, etwas davon an die Öffentlichkeit zu tragen«, fuhr er fort. »Ich bin nicht mal sicher, ob man sie mir oder selbst dem Präsidenten der Vereinigten Staaten abkaufen würde. Wenn die wahre Geschichte tatsächlich ans Licht kommen sollte, würde sie dermaßen unglaubhaft wirken, daß man sie im Börsenblatt abdrucken könnte, ohne auch nur ein Fünkchen Aufregung zu verursachen. Was wir schon seit ewigen Zeiten – lange bevor Sie zur Welt kamen – zu vertuschen versuchen, ist nicht der Inhalt dieses Geheimnisses geht, sondern die Tatsache, daß es ein solches Geheimnis
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