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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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Pensionäre hatten eine zweiwöchige Busreise gemacht. Das Motto der Reise lautete: »Schottlands Leiden: Schauplätze des kaledonischen Unglücks«. Und anfangs kam meine Oma voll auf ihre Kosten; sie besichtigte all die Schauplätze des Leidens und der Gemetzel und auch die Katakomben in Edinburgh, wo man während der Beulenpest einfach die Straßen absperrte und die Kranken elendig verrecken ließ. Meine Oma war hoch zufrieden und sagte, es sei die reinste Wohltat, durch ein Land zu fahren, das so viel Unglück durchgemacht hatte und dessen Einwohner so angemessen ernst und düster wirkten.
    Aber dann hielt der Bus in der Nähe von Dumfries, damit die Progressiven Penisonäre das Haus besichtigen konnten, in dem Robert Burns so viel Not und Entbehrungen erlitten hatte, bevor er tragischerweise zu früh verstarb, an Überarbeitung und chronischem Gelenkrheuma – und an dem idiotischen Arzt, der ihm Quecksilber zu trinken gab und ihn dann bis zum Hals im eisigen Wasser der Solway Firth stehen ließ. Mr. McGough wusste, dass sich meine Oma auf diesen Teil des Ausflugs, der im Allgemeinen als der tragische Höhepunkt der Reise galt, ganz besonders gefreut hatte. Doch bei der Ankunft sagte meine Oma, sie fühle sich ein bisschen erschöpft; das viele Unglück setze ihr offenbar doch ziemlich zu. Sie wolle lieber im Bus sitzen bleiben. Und Mr. McGough dachte sich nichts dabei. Er zog mit den anderen Pensionären los. Doch als er mit ihnen zum Bus zurückkehrte, saß meine Oma mit einem Schaf da. Alle blieben stehen und starrten sie an. Aber sie tätschelte den Kopf des Tiers und sagte: »Keine Angst, das ist ein sehr braver Hund. Lammfromm, der beißt bestimmt nicht!«
    Die Pensionäre sahen sich betreten an. Dann fragte Mr. McGough: »Aber Vera, was soll denn das?«
    »Das ist Rex!«, erwiderte meine Oma. »Rex, mein Hund.«
    Und da sagte Sylvia Mortimer zu meiner Oma: »So ein Unsinn, Vera! Wie kann denn das dein Rex sein? Du hast mir doch selber erzählt, dass dein Rex gestorben ist! Wurde der nicht im Trafford Park von einem Oberleitungsbus überfahren, als du zwölf Jahre alt warst?«
    Da runzelte meine Oma die Stirn, drehte sich um und sah das Schaf an. Dann hob sie langsam die Hand vor den Mund und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Oje, wie konnte mir denn das passieren?«, fragte sie.
    Meiner Oma war die Sache sehr peinlich, und sie sagte, sie wisse überhaupt nicht, was in sie gefahren sei! Aber die andern waren alle schrecklich nett zu ihr. Und Mr. McGough (der meine Oma schon immer besonders gern gehabt hatte) sagte: »Vera, vergiss es. Das war einfach eine kleine Fehlleistung. So was kommt in unserem Alter eben vor, Vera; das hat jeder von uns schon mal erlebt.«
    Meine Oma sagte, diesen gönnerhaften Schwachsinn könne er sich sparen. Und da war Mr. McGough beruhigt, weil er wusste, dass mit meiner Oma jetzt wieder alles in Ordnung war. Aber leider stimmte das nicht. Kurz darauf ging sie nämlich in Galashiels verloren, und man musste die Polizei verständigen. Als man sie fand, stand meine Oma weinend vor dem Tor der dortigen Grundschule und schluchzte, jetzt werde sie bestimmt Stockhiebe kriegen, weil sie ihre Hausaufgaben vergessen habe.
    Und von da an sei es immer schlimmer geworden, berichtete Mr. McGough. Irgendwann beschloss er, es sei das Beste, meine Oma nach Hause zu bringen und die Progressiven Pensionäre dem Rest des schottischen Unglücks allein zu überlassen.
    Meine Mam fuhr sofort zu meiner Oma. Aber die wirkte ganz normal, beklagte sich, dass Mr. McGough sie aus Schottland zurückgebracht hatte, und nannte ihn einen hysterischen Trottel!
    Meine Mam war unglaublich erleichtert. Und weil sie nicht wollte , dass meine Oma krank war, redete sie sich ein, Mr. McGough habe vermutlich maßlos überreagiert. Erst beim Weggehen entdeckte sie auf der Anrichte die drei Dosen Pedigree Chum. Und da fragte meine Mam: »Was ist denn das, Mutter? Wem gehört denn das Hundefutter?«
    Meine Oma betrachtete die Dosen und runzelte die Stirn. »Mir jedenfalls nicht!«, sagte sie.
    »Wem denn dann?«, fragte meine Mam.
    »Also hör mal!«, antwortete meine Oma. »Rex natürlich!«

    Der Arzt fand, es sei schwer zu sagen. Manchmal sei so etwas einfach auf Sauerstoffmangel zurückzuführen. Körperlich sei meine Oma für ihr Alter noch in sehr guter Verfassung. Und als er sie nach verschiedenen Dingen fragte, zum Beispiel nach ihrem Namen, ihrem Geburtsdatum und dem Namen des derzeitigen Premierministers,

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