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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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verdrehte meine Oma die Augen und sagte, wenn er hier schon so ein blödes Quiz veranstalte, solle er ihr wenigstens ein paar anständige Fragen stellen. Der Arzt lächelte und sagte: »Na gut, Vera … also … wer war während des Krimkriegs für das Gesundheitswesen verantwortlich?«
    »O je«, sagte meine Oma, »das liegt schon eine ganze Weile zurück, nicht wahr?«
    »Na los«, sagte der Arzt. »Sie wollten eine schwierige Frage und da ist sie. Wie hieß er und was war das Bemerkenswerteste an ihm?«
    Meine Oma starrte den Doktor wütend an. Aber plötzlich lächelte sie und sagte: »Ganz leicht. J. M. Barry! Andere Schreibweise, aber der gleiche Name wie der kleine Schotte, der Peter Pan geschrieben hat. Und erst als J. M. Barry – also der von der Krim – starb, entdeckte man, dass er in Wirklichkeit eine Frau war!«
    Der Arzt schien beeindruckt. Er lächelte meine Mam an, und als er sein Stethoskop einpackte, sagte er: »Ich wüsste wirklich nicht, was mit ihrem Verstand nicht stimmen soll.«
    Und im Hinausgehen meinte er noch: »Ich glaube, ihr fehlt wirklich nichts. Behalten Sie sie einfach im Auge.«
    Meine Mam war außer sich vor Freude. Alles falscher Alarm, sagte sie. Wahrscheinlich habe es am Sauerstoffmangel gelegen, weil meine Oma die ganze Woche mit den andern in diesem Bus zusammengepfercht gewesen sei! Aber die Erleichterung war nur von kurzer Dauer, denn am Sonntagabend standen Onkel Jason und Tante Fay vor der Tür. Ich wollte mir eigentlich The Antiques Roadshow angucken, verstand aber kein Wort, weil mein Drecksonkel Jason, kaum war er im Wohnzimmer, sofort von meiner Oma erzählte. Er sei von der Polizei verständigt worden, weil meine Oma am Sonntagmorgen um sechs Uhr vor dem Kentucky Fried Chicken gestanden habe. Und auf die Frage der Polizisten, was sie denn wolle, habe meine Oma erwidert: »Ich warte hier auf meine leckeren Hähnchenflügel und eine Portion Chips!«
    Onkel Jason sagte, sie hätten meine Oma mit zu sich nach Hause nehmen und den ganzen Tag dabehalten müssen. Und ihr schönes Sonntagsessen sei ihnen verdorben worden, weil sich meine Oma strikt weigerte, Roastbeef zu essen, und dauernd wissen wollte, was denn nun mit ihren Chips und den leckeren Hähnchenflügeln sei.
    Onkel Jason sagte, so könne es nicht weitergehen, man müsse drüber nachdenken, meine Oma in ein Pflegeheim zu tun. Meine Mam war entsetzt.
    »Du spinnst wohl!«, sagte sie. »Das ist doch nicht nötig! Nur ein bisschen Sauerstoffmangel. Mit ihrem Verstand ist alles in Ordnung. Sie ist nur ein bisschen daneben, das ist alles!«
    Aber Onkel Jason knurrte: »Weißt du, was ich daneben finde, Shelagh? Deine sture Weigerung, endlich zu akzeptieren, was sich direkt vor deiner Nase abspielt! Ob es dir passt oder nicht: Unsere Mutter ist nicht mehr ganz bei Trost! Wenn du mich fragst, war sie es noch nie, aber in letzter Zeit hat sie sich dümmer aufgeführt, als die Polizei erlaubt! Es muss etwas geschehen! Für dich ist das Problem weit weg hier in Wythenshawe. Aber wir haben es direkt vor der Haustür. Wir müssen die Suppe auslöffeln.«
    Meine Mam starrte diesen widerlichen Wichtigtuer an. »Mir ist es ganz egal, was du sagst, Jason«, erwiderte sie. »Ich bin jedenfalls anderer Meinung. Ich glaube nicht, dass es so schlimm um sie steht.«
    »Nicht so schlimm?«, bellte Onkel Jason. »Eine über siebzigjährige Frau, die mitten in der Nacht in der Stadt rumgeistert und sich Pommes und Hähnchenflügel kaufen will, und du sagst, es steht nicht schlimm um sie?«
    »Kann doch sein, dass sie Hunger hatte!«, fuhr meine Mam ihn an.
    »Und kann auch sein, dass sie nur mit viel Glück einem Überfall entgangen ist!«, sagte mein Onkel. »Um diese Zeit durch die Straßen zu geistern, wo sich wer weiß was für Gesindel in der Stadt rumtreibt – Drogenabhängige und junge Leute, die sich von der Gesellschaft abgewendet haben! Sie hatte verdammtes Glück, dass sie nicht von einer Gang vergewaltigt und halbtot liegen gelassen wurde!«
    »Um Himmels willen«, fuhr meine Mam ihn an, »sei doch endlich still! Meinst du, ich mache mir nicht schon genug Sorgen, auch ohne dass du hier rumtönst wie ein Revolverblatt?«
    Und da merkte sogar mein beschränkter Onkel, dass meine Mam am Ende ihrer Kraft war. Also versuchte er’s jetzt auf die vernünftige, weltkluge Tour und sagte: »Schau mal, Shelagh. Wir sind natürlich alle durcheinander. Total durcheinander. Ich finde es ganz furchtbar, Shelagh, wirklich, ich finde es

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