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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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»Unkraut! Das ist doch kein Unkraut, du kleiner Idiot!«
    Er riss mir die Hacke aus der Hand, und die andern Jungen scharten sich um uns und lachten, als er sagte: »Das ist Kohlrübenkraut, Junge! Du hast ein ganzes Beet voll Kohlrübenkraut zerhackt!«
    Alle starrten jetzt auf das Beet mit dem kleingehackten Kohlrübenkraut. Und dann sagte der Junge mit dem Zucken und dem schrecklichen Haarschnitt: »Das ist Gonzos Beet!«
    Und Elvis Fitzsimmons sagte mit einem blutrünstigen Glitzern in den Augen: »Au Backe! Na warte, wenn das Gonzo mitkriegt!«
    Und ein anderer sagte: »Das ist der Neue, der Dicke. Der hat Gonzos Kohlrüben kaputt gehackt!«
    Und dann rief Elvis Fitzsimmons, bevor er zum Schulgebäude rannte: »Ich sag’s ihm! Ich lauf zu Gonzo und sag’s ihm!«
    Ich sah den Lehrer an und verteidigte mich: »Ich kann doch nichts dafür! Woher soll ich denn wissen, wie man gärtnert? Ich lebe in einer Maisonettewohnung! Sie haben mir’s ja nicht erklärt! Sie haben mir ja nicht gesagt, was hier Unkraut ist!«
    Aber er ignorierte mich, sammelte die Hacken und Spaten wieder ein und murmelte irgendwas von frühzeitiger Pensionierung und von Kindern, die Jahr für Jahr dümmer würden. Dann ging er einfach weg, weil gerade die Schulglocke ertönte und zum Mittagessen rief.
    Die Kohlrübenkatastrophe musste sich wie ein Lauffeuer verbreitet haben, denn als die Kinder in den Pausenhof kamen, rannten viele von ihnen gleich schnurstracks zu den Gärtnerbeeten rüber, bis es mir vorkam, als sei ich von Hunderten von Kindern umringt; und alle starrten auf das Kohlrübenkraut und riefen »Ach du Scheiße!« und »Verdammter Mist!« und »Au Backe, da kriegt aber jemand mächtig Ärger mit Gonzo!«.
    Erst wollte ich einfach ganz normal weggehen. Als mich aber niemand durchließ und alle nur um mich rumstanden und mich anstarrten, wollte ich mich durchzwängen. Aber ein größerer Junge stieß mich einfach zurück und ich stolperte in eines der andern Beete. Da sagte jemand: »Bleib, wo du bist, Fettkloß!« Einige kreischten vor Lachen.Und ein paar andere skandierten: »Fettkloß! Fettkloß! Fettkloß!«
    Ich stand da und riss mich mit aller Kraft zusammen; denn ich wusste, wenn ich jetzt vor allen andern weinte, war ich in diesem scheiß Sunny Pines für immer erledigt. Und statt in Tränen auszubrechen, hatte ich plötzlich das Gefühl, als würde etwas in mir zerreißen. Auf einmal brach die ganze Wut aus mir raus und alles ließ mich kalt: Es ließ mich völlig kalt, ob ich verprügelt und fertig gemacht wurde; scheiß drauf, es ließ mich absolut kalt. Ich wollte nicht in dieser dummen, beschissenen Schule bleiben, bei diesen dummen, beschissenen Kindern und dieser dummen beschissenen Gartenarbeit. Und deshalb knurrte ich wütend: »Also, wo steckt er denn, euer dämlicher Gonzo?«
    Und da hörte ich von ganz hinten eine Stimme: »Hier, du Arsch!«
    Aber als sich die Menge teilte, war meine Wut plötzlich wie weggeblasen, und ich stand da und machte mir fast in die Hose vor Angst. Ich sah einen großen, hässlichen, lockigen Kerl. Er kam mit geblähten Nüstern und starrem Blick auf mich zu und blieb dicht vor mir stehen. Schweigend sah er mich an. Dann drehte er langsam den Kopf und sagte ruhig: »Platz da!« Ein paar Kinder wichen zurück und gaben den Blick auf das zerhackte Kohlrübenkraut frei – in all seiner welkenden Pracht. Dann drehte sich Gonzo wieder um, und ich stand da, starrte ihn an und wartete auf Prügel. Und da dämmerte es mir; während wir uns, umringt von der halben Schule, zwischen den Beeten gegenüberstanden, dämmerte es mir; plötzlich sah ich einen Jungen vor mir, der nicht ganz so groß und stark war wie dieser Gonzo, zwar mit der gleichen Lockenfrisur, aber ohne die ersten Stoppeln auf den Wangen; einen Jungen, dem mal ein Pitbullterrier gehört und der Chinesen als »Scheißschlitzaugen« bezeichnet hatte; einen Jungen, der immer böse und aggressiv gewesen war; bis auf ein einziges Mal, an einem Tag vor langer Zeit, als ich noch ganz klein war und einen Silberstern in die Höhe gehalten und gesungen hatte: »Zu Bethlehem geboren«. Und damals hatte dieser Gonzo ganz liebevoll Twinky McDevitt vom Esel gehoben und die Ersatzmaria zärtlich auf seinen kräftigen Armen getragen.
    Und während ich noch in sein finsteres Gesicht emporsah, sagte ich: »Joseph, der Zimmermann!«
    Er kniff die Augen zusammen und starrte mich bestürzt an.
    Ich sagte: »Du bist gar nicht Gonzo! Du bist Norman

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