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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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hergekommen, im Tutu und in Ballettschuhen, und irgendwann hat ihn diese scheiß Miss Coppleshaw dann mitmachen lassen. Hey, und sie hat’s nicht bereut – er ist verdammt gut, besser als der Rest, schau doch mal!«
    Und Norman Gorman hatte Recht. Die Mädchen gaben sich große Mühe und einige tanzten auch wirklich sehr hübsch durch die Halle. Aber bei Twinky McDevitt sah es fast aus, als schwebe er durch die Luft.
    »Ich hab gedacht, Twinky sei beim Psychiater gewesen«, flüsterte ich, »und hätte danach nie mehr getanzt?«
    Norman nickte und spähte weiter durch den Vorhangspalt. Komischerweise schniefte er jetzt und wischte sich verstohlen mit der Hand über die Augen. Und eine Sekunde dachte ich, er habe vielleicht eine Träne weggewischt. Was für ein lächerlicher Gedanke: Er war doch schließlich Norman Gorman – Gonzo! Aber da sah er mich mit verlegenem Lächeln an und sagte: »Das war ich.«
    »Was denn?«, fragte ich.
    »Ich hab Twink wieder zum Tanzen gebracht«, flüsterte Norman. »Als ich hier ankam und ihn wiedersah, hatte ihn dieser scheiß Psychiater total fertig gemacht. Und da hab ich ihn wieder zum Tanzen gebracht verdammt noch mal. Erst seine Pirouetten. Aber dann richtig, mit allem Drum und Dran, so wie da.«
    Wir spähten wieder durch den Spalt.
    Norman Gorman flüsterte vor sich hin: »Scheiße … ist das nicht … wunderschön?
    Und da wusste ich es! Da wusste ich, dass Norman Gorman vorhin wirklich eine Träne weggewischt hatte! Und ich wusste, dass Norman Gorman in Twinky McDevitt verliebt war. Und als hätte Norman meine Gedanken erraten, drehte er sich wieder zu mir und nickte. Und seine Augen standen voller Tränen, als er sagte: »Scheiße, ich kann nichts dafür! Ich kann nichts dagegen machen verdammt noch mal.«
    Und da sagte ich zu Norman Gorman: »Schon gut, Norman. Eigentlich finde ich es sehr schön!«
    Und Norman strahlte mich durch einen Tränenschleier an und sagte: »Hey, du bist echt okay, Raymond! Echt okay!«
    Und Norman streckte die Hand aus und gab mir einen liebevollen Klaps auf den Rücken. Und da hätte ich fast auch das Heulen angefangen; denn plötzlich wurde mir klar: Ich hatte einen Freund!
    Und Sekunden später hatte ich sogar zwei Freunde. Denn da stand auf einmal Twinky McDevitt in seinem Balletttrikot. Er hatte sich ein Handtuch um den Hals gelegt und seine Augen funkelten vor Freude, als Norman Gorman mich aufgeregt (und mit vielen Kraftausdrücken) als den legendären, genialen Fliegenfänger von Failsworth vorstellte. Twinky McDevitt starrte mich verblüfft an, dann schüttelte er den Kopf und sagte: »Sagenhaft säuisch, orgiastisch obszön, grandios grotesk!« Und dann lächelte er mich strahlend an und sagte: »Hallo, Fliege!«
    Und es war einfach toll! Ich hatte innerhalb weniger Minuten zwei Freunde und einen Spitznamen bekommen! Bis dahin hatte ich noch nie einen Spitznamen gehabt. Aber Twinkys »Fliege« blieb an mir kleben und ab jetzt nannten mich alle so. Ich fand es herrlich, dass sie mich Fliege nannten.Weil ich mich als etwas ganz Besonderes fühlte. Und ich war auch etwas ganz Besonderes, damals in Sunny Pines, mit Twinky und Norman, meinen besten Freunden. Wir waren so unzertrennlich, dass man uns »Das Trio aus Failsworth« nannte. Ein paar Jungen wurden richtig neidisch, und als Norman und ich eines Tages auf Twinky warteten, der noch in der Handarbeitsstunde saß, kam Peter Pollock vorbei und sagte: »Hey, super, Hanni und Nanni und warten auf Fanni!« Aber wir ignorierten ihn einfach. Als Nächstes behauptete Pollock dann, wir hielten ja nur zusammen, weil wir alle aus Failsworth stammten, und in Failsworth wohnten lauter arrogante Arschlöcher. Norman sagte, er solle sich verpissen, und der wahre Grund, warum wir so fest zusammenhielten, sei der, dass uns im Gegensatz zu Pollock und all den andern Hirnis und Deppen als Einzigen nichts fehlte.
    Da sagte Pollock: »Ja! Außer, dass ihr schwul seid!«
    Und das traute sich Peter Pollock auch nur, weil er genau wusste, wie wahnsinnig hart Norman in seinen Gruppensitzungen an sich gearbeitet hatte, zum Beispiel mit Übungen wie Artikuliere deine Angst und Zügle deinen Zorn . Und deshalb haute ihm Norman keine rein, sondern dachte einen Moment ganz, ganz scharf nach und sagte dann: »Verpiss dich, du dyslektisches Arschloch!«
    Und dann ließen wir ihn einfach stehen. Aber ich wusste natürlich, dass Norman wahnsinnig wütend war. Und nach einer Weile sagte er: »Scheiße, ich bin

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