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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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lauten Krach und machte sich fast in die Hose vor Angst, bis man merkte, dass es nur mal wieder einer von Elvis Fitzsimmons’ Anfällen war oder dass Deborah Johnstone ihren Stuhl gegen die Heizung geschleudert hatte, weil es angeblich nicht der richtige Stuhl war, weil es nicht ihr Stuhl war, weil es der falsche Stuhl war und diese verdammten Arschlöcher ihren Stuhl versteckt hatten, ihren Lieblingsstuhl! Und wenn sie sich endlich wieder beruhigt hatte, wenn der Lehrer Deborah endlich klargemacht hatte, dass es sich wirklich nicht um ein Stuhlkomplott handle, dann war die scheiß Stunde schon um. Den andern war es offenbar total egal, ob sie was lernten. Im Grunde taten sie mir ja Leid, Deborah und Elvis Fitzsimmons und Ambrose McFadden. Aber trotzdem gingen sie mir tierisch auf die Nerven, sie und Chantelle Smith und all die andern, die irgendeine Störung hatten und dauernd ausflippten und den Unterricht so massiv behinderten, dass man kein bisschen weiterkam. In Sunny Pines fühlte man sich wie im Gefängnis. Gleich am ersten Mittwoch, als ich hörte, dass wir im Garten arbeiten müssten, hatte ich die Schnauze voll; und ich beschloss, dass der Sunny-Pines-Minibus künftig ohne mich von Wythenshawe abfahren würde.
    Gartenarbeit! Nicht zu fassen! Erst hielt ich es für einen dummen Witz. Aber dann musste ich mit den gleichaltrigen Jungen zu den Beeten hinaus, wo uns ein Mann erwartete, der mich an eine fette Vogelscheuche erinnerte. Aber es war ein Lehrer! Er trug riesige Gummistiefel und einen Bart, der aussah, als würden Vögel drin nisten.
    Bei meinem Anblick rastete er völlig aus. »Das hat mir mal wieder keiner gesagt!«, rief er. »Keiner hat mir gesagt, dass heute ein neuer Junge anfängt! Was soll ich jetzt machen? Es gibt keine freien Beete mehr! Ich hab keine freien Beete mehr für neue Jungs, die einfach hier auftauchen, ohne dass man mir vorher Bescheid gibt. Was soll ich denn machen, wenn kein Beet mehr frei ist?«
    Ich sah ihn bloß an und zuckte die Achseln. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung. Schließlich war er der Lehrer, nicht ich! Mir waren die Beete sowieso scheißegal. Ich hatte ohnehin keine Lust auf die bescheuerte Gartenarbeit! Und so stand ich einfach da, während er an die andern Jungen Spaten und Hacken verteilte und alle an ihre Plätze gingen. Ich dachte schon, ich käm drum rum. Aber da reichte er mir plötzlich so ein Teil und sagte: »Da, nimm die Hacke. Du kannst fürs Erste mal auf einem der Drittklässler-Beete arbeiten.«
    Und er zeigte auf ein Beet und sagte: »Mach da mal weiter mit Jäten.«
    Aber wie das ging, zeigte er mir nicht, denn inzwischen bewarfen sich die andern Jungs aus meiner Klasse mit Dreck und er lief schnell hin, um ihnen einen Anschiss zu verpassen. Und während er noch dabei war, brach plötzlich Ambrose McFadden, der einen schrecklichen Tick und einen noch schrecklicheren Haarschnitt hatte, in Tränen aus und beschwerte sich, dass sein Spaten einen blauen Griff hätte, wo er doch eigentlich einen grünen haben müsste! Die andern lachten ihn aus, was alles noch schlimmer machte, bis er schließlich den Spaten wegschleuderte, sich mitten ins Beet hockte und heulend rief, sie sollten sich alle verpissen.
    Es ging zu wie im Kindergarten! Ambrose plärrte und alle andern lachten. Ich war froh, dass ich für mich allein war. Ich tat, was mir der Lehrer aufgetragen hatte, hackte das lange grüne Unkraut raus und war stinksauer auf meine Oma, denn wenn sie nicht krank geworden wär, hätte sie mich vor all dem bewahren können. Ich wusste zwar, dass meine Oma keine Schuld traf und ich eigentlich nicht auf sie wütend sein durfte. Aber ich war auf alle wütend: auf meine Oma, auf meine Mam, auf Wilson und meinen Drecksonkel Jason; wütend, weil ich in dieser Sonderschule war, in einer Klasse voller Idioten, die es für den Gipfel des Vergnügens hielten, Ambrose McFadden zu hänseln und sich, als sie schließlich davon genug hatten, den Rest der Stunde mit Dreck zu bewerfen. Je länger ich Unkraut jäten musste, desto wütender wurde ich. Und am Ende hackte ich das ganze Unkraut kurz und klein, bis fast nichts mehr übrig war.
    Ich hatte ja keine Ahnung! Bis diese fette Vogelscheuche von Lehrer angerannt kam und schrie: »Um Himmels willen, Junge, um Himmels willen … was machst du denn da!?!«
    »Ich jäte Unkraut«, antwortete ich, »wie Sie’s mir gesagt haben!«
    Aber er sah aus, als würde er gleich in Ohnmacht fallen. Mit knallrotem Gesicht rief er:

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