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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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»Und dann … hört man sie …« Er drehte den Kopf hin und her und guckte in der Luft rum und ein paar Kinder machten es ihm nach. Dann sagte er: »Erst total leise … aber sie ist da … bzzzzz … bzzzzz … bzzzzzz; sie kommt immer näher und näher und man ist verdammt aufgeregt, darf sich aber ja nicht rühren, sonst ist sie weg. Bzzzzz … bzzzzz … bzzzzz … immer lauter, je näher sie kommt. Und jetzt siehst du sie sogar, diese verdammte Fliege, wie sie da in der Luft rumschwirrt und auf dich zukommt; und du kannst nichts tun, du stehst bloß da, ganz still, aber du betest, du betest die ganze Zeit, verdammt, und lockst sie in Gedanken zu dir her, mit aller Kraft. Und dann … dann … dann haut die scheiß Fliege wieder ab …«
    In Norman Gormans Miene spiegelte sich der blanke Frust und ein paar Jungen stöhnten und murrten vor Enttäuschung.
    »Aber dann«, fuhr Norman plötzlich ganz aufgeregt fort, »dann macht sie kehrt! Die scheiß Fliege macht kehrt! Und rast direkt auf dich zu wie so’ne Kugel und dann: BINGO! Dann landet sie! Genau in der Mitte! Absolut perfekt! Ganz genau vorn auf deinem Schwanz, verdammt noch mal! Und jetzt schlägst du zu! ZACK! Und drüber mit der verdammten Vorhaut! Bingo! Die scheiß Fliege sitzt fest! Das ist Fliegenfangen!«

    Jetzt brachen alle in Jubel aus und riefen durcheinander, das sei echt geil, absolut genial, und Norman legte mir wieder den Arm um die Schulter, zeigte mit dem Finger auf mich und sagte:«Und das hat Raymond erfunden!«
    Jetzt sahen sie mich alle mit ganz andern Augen. Und ein paar riefen: »Das mach ich auch mal! Geiles Spiel! Los, probieren wir’s doch gleich aus. Fliegenfangen, hey, geil!«
    Sie rannten in alle Richtungen davon und ein paar riefen Norman Gorman zu: »Na los, Gonzo! Komm mit! Fliegenfangen!«
    Aber Norman sagte nur: »Verpisst euch. Ich geh mit Raymond zu Twink.«
    Ich sah ihn erstaunt an, während er mich zwischen den Kindern hindurchführte. »Twinky McDevitt?«, fragte ich.
    Norman nickte. »Ja«, sagte er. »Die haben Twinky hierher geschickt. Er natürlich, der Neue Schulleiter, das blöde Arschloch.«
    Und nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: »Aber ich hab’s ihm heimgezahlt!«
    »Wem?«, fragte ich.
    »Hey, diesem scheiß Schulleiter von Binfield Road!«
    Ich sah Norman Gorman an. »Wie denn?«
    Norman zuckte die Achseln. »Ich hab ihm seinen scheiß Wintergarten zerlegt. Das war’ne Sache von zwei Minuten, dann stand der Dreckskerl in seinem Trümmerhaufen und hatte die Hose voll, weil er dachte, jetzt mach ich gleich Hackfleisch aus ihm!«
    Ich starrte Norman Gorman an und fragte mich, warum ich mich hier mit einem Psychopathen abgab, der eine krankhafte Neigung zu Flüchen und Kraftausdrücken hatte! Aber anscheinend erriet Norman meine Gedanken, denn als wir uns dem Eingang der Schule näherten, runzelte er plötzlich die Stirn, schaute mich verlegen an und sagte: »Aber so’ne Scheiße würd ich heute nie mehr machen! Hey, echt nicht, Raymond!«
    Und es schien Norman Gorman wahnsinnig wichtig zu sein, dass ich ihm glaubte. Also nickte ich und er fuhr fort: »Damals konnte ich noch nicht mit meinen scheiß Gefühlen umgehen, verstehst du? Ich war total daneben; scheiß aggressiv und brutal und so weiter. Aber das war, bevor ich gelernt hab, mit meinen verdammten Gefühlen umzugehen und mein wahres Ich zu erforschen und Kontakt zu dem verdammten inneren Kind in mir zu kriegen und dieser ganze Scheiß, damit ich nicht immer gleich ausraste und durchdrehe. Hey, und deshalb steh ich nicht mehr auf Konfrontation und so’n Scheiß«, sagte er. »Weil ich jetzt nämlich soziale Kompetenz hab verdammt noch mal! Strategien zur Konfliktbewältigung und dieser ganze Scheiß, und außerdem kann ich mich jetzt verdammt geil artikulieren, kapierst du, was ich meine?«
    Ich starrte Norman Gorman unverwandt an. Und er strahlte stolz, als er die Tür aufmachte und sagte: »Komm, Raymond. Twink flippt aus vor Freude, wenn er dich sieht!«
    Ich erkannte ihn auf den ersten Blick, Twinky McDevitt. Er nahm an der Ballettstunde der Mädchen teil. Norman und ich öffneten die Tür einen kleinen Spalt und spähten durch die Lücke im Vorhang, weil es Jungen verboten war, während der Ballettstunde in die Halle zu kommen. Ich flüsterte Norman zu: »Wieso darf Twinky da mitmachen?«
    Norman zuckte die Achseln. »Typisch Twink, wie? Wenn der sich mal was in seinen verdammten Kopf gesetzt hat! Ist einfach stur jeden Mittag

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