Der Fliegenfaenger
einfach wunderbar, wie Norman sich um Twinky kümmerte, fast mehr als um sich selbst.
Aber so war es eben, wir kümmerten uns damals jeder um den andern, als wir das Trio aus Failsworth waren. An der Sache mit Normans Vater konnte ich zwar nichts ändern, aber ich hatte noch fünfzig Pence von meinem Essensgeld übrig. Und als wir durch den Laden gingen, durch den man zur Galerie gelangt, entdeckte ich die Karte und kaufte sie.
Als ich sie Norman gab, sah er mich überrascht an. »Was ist denn das?«, fragte er.
»Schau mal«, sagte ich und zeigte ihm das Bild. »Das ist Mahatma Ghandi.«
Norman starrte ihn an und runzelte die Stirn. »Ist das so ein scheiß Pakistani?«
»Nein«, sagte ich. »Er war Inder. Meine Oma hat mir alles über ihn erzählt. Er war ein Held und hat in seinem ganzen Leben nie jemandem wehgetan.«
Norman sah mich an.
Ich sagte: »Deshalb hab ich dir die Karte gekauft, Norman.«
»Für mich?«, fragte Norman.
Ich nickte. »Ja«, sagte ich, »weil ich glaube, dass du auch ein Held bist.«
Ich merkte, dass es Norman die Sprache verschlagen hatte. Er schluckte. Dann sah er sich hilflos um. Schließlich zuckte er die Achseln und meinte: »Ach, Scheiße, Fliege! Los, gehen wir nackte Weiber gucken!«
Aber ich merkte, dass er sich freute. Denn er steckte die Postkarte ganz vorsichtig in seine Tasche und schaute immer wieder nach, ob sie noch da war.
Wir fanden Twinky vor dem Bild mit den fülligen Frauen. Doch Norman meinte, die seien alle viel zu dick, die Nackten nebenan gefielen ihm wesentlich besser.
Aber Twinky widersprach: »Nein, Norman. Schau sie dir doch an. Schau dir diese Frauen doch mal genau an.«
Norman betrachtete das Bild erneut. Dann sagte er: »Doch, Twinky, sie sind dick. Unheimlich dick.«
Twinky nickte zu dem Bild hin. »Dick ja«, sagte er, »aber wunderschön. Schau mal, Norman. Schau dir ihre Augen an. Du auch, Fliege!«
Wir standen zu dritt da und schauten den dicken nackten Frauen in die Augen. Und plötzlich sagte Norman: »Hey, das ist ja, als wären die lebendig, stimmt’s? Als würden die einen anschauen!«
»Das kommt, weil sie wirklich lebendig sind, Norman«, sagte Twinky.
Jetzt runzelte Norman ein bisschen die Stirn. Aber Twinky sagte: »Sie leben, weil so viel Leben in ihnen steckt. Und das strömt aus ihnen raus, Norman, dieses geballte Leben strömt aus ihnen raus und stürzt wie ein Wasserfall über ihre wonnigen, wuchtigen Rundungen. Sie sind wunderschön«, sagte Twinky, »und sie sind stolz und glücklich, dass sie da oben in diesem Rahmen sind und ihre kolossale Korpulenz zur Schau stellen können.«
Und wenn man die fülligen Frauen so betrachtete, hatte Twinky Recht; dann sahen sie nicht mehr nur wie dicke Frauen aus; sie waren herrlich.
Und Norman sagte: »Wisst ihr, was ich mit denen am liebsten machen würde? Am liebsten würd ich die von oben bis unten abschlecken!«
Wir brachen alle in ein Gelächter aus. Und als wir uns wieder beruhigt hatten und einfach nur dastanden, sagte ich: »Ich bin auch dick!«
Norman und Twink schauten mich an. Und Norman meinte: »Hey, Fliege, kann schon sein, aber dich möchte ich nicht von oben bis unten abschlecken!«
»Ich weiß«, sagte ich. »Aber jedenfalls bin ich dick.« Und nachdem ich noch einmal das Bild betrachtet hatte, fügte ich hinzu: »Aber ich fühle mich nicht so, wie diese Frauen sich fühlen.«
Jetzt nickte Twinky und sagte: »Und weißt du auch, warum, Raymond?«
Ich schüttelte den Kopf und Twinky erklärte: »Weil du eigentlich gar nicht dick bist, Fliege.«
Ich sah ihn stumm an, und er fuhr fort: »Du bist nicht dick, Fliege! Du bist in Wirklichkeit ein ganz schlanker Mensch. Aber den hast du versteckt. Den schlanken Menschen hast du hinter diesen Fettbergen versteckt!«
Ich nickte nur und sagte: »Das kommt von den vielen Pizzas und Kuchen und Nudeln. Ich hab mir das einfach so angewöhnt. Und jetzt find ich es wahnsinnig schwer, damit aufzuhören.«
Twinky sah mich an und schüttelte den Kopf.
»Doch, Twink«, sagte ich. »Wirklich. Du weißt nicht, wie das ist, weil du ja …«
»Norman!«, unterbrach mich Twinky. »Wie hab ich ausgesehen?«
Norman schüttelte den Kopf und sagte: »Ich konnte es nicht glauben, Mann. Scheiße, ich hab dich erst gar nicht wiedererkannt, Twink, stimmt’s?«
Ich wusste nicht, um was es ging. Aber da hakte sich Twinky bei mir ein und sagte: »Du hast mich nie gesehen, Fliege, nicht wahr? Du hast mich nie mehr gesehen, seit ich mit
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