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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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Twinky stolzierte einfach davon und sagte, er habe keinesfalls die Absicht, auf einer dreckigen Straße zu stehen und mit hässlichen Menschen über ein hässliches und veraltetes Transportmittel zu sprechen. Mr. McKenzie befahl ihm, sofort zurückzukommen, aber Twinky erklärte, er gehe in die Kunstgalerie, wo es Schönheit im Überfluss gebe; das passe besser zu einem sensiblen Ästheten wie ihm. Mr. McKenzie schüttelte seufzend den Kopf und rief Twinky hinterher, er solle aber ja nirgendwo anders hingehen als in die Kunstgalerie und ganz bestimmt rechzeitig wieder am Kleinbus sein. In dem Moment wollte Norman, der schon den ganzen Tag furchtbar schweigsam gewesen war, auch gehen, und Mr. McKenzie sagte: »Gorman, wo zum Teufel willst du denn jetzt hin?«
    »In die Kunstgalerie!«, sagte Norman. »Mit Twinky.«
    »Nein!«, sagte McKenzie. »Du bleibst hier!«
    »Ich denk nicht dran«, gab Norman zurück. »Wer passt denn auf Twinky auf, wenn ich hier bin, und er ist in der Kunstgalerie?«
    »Ich bin sicher, Twinky kann ganz gut auf sich selber aufpassen«, beharrte Mr. McKenzie.
    »Verdammt, kann er nicht!«, sagte Norman. »Den holen die Skins. Hier wimmelt’s von diesen scheiß Skinheads. Die warten doch verdammt nur auf’nen Schwulen. Genau deshalb werd ich hier nicht rumstehen verdammt noch mal und irgendwas von Straßenbahnen und so’nem Scheiß labern, wenn Twinky womöglich gerade von diesen verdammten Arschlöchern verprügelt wird!«
    Mr. McKenzie seufzte, schloss die Augen und sagte: »Norman, Norman. Ich dachte, wir arbeiten an den Flüchen und Kraftausdrücken, Norman!«
    Aber Norman hatte offenbar gerade keine Lust, an den Flüchen und Kraftausdrücken zu arbeiten, denn er sagte nur: »Ach, scheiß drauf, Sir, mir platzt bald der Kopf!«
    Mr. McKenzie wollte etwas erwidern, aber inzwischen waren sich Elvis Fitzsimmons und Chantelle Smith in die Haare geraten, wer von ihnen die Rentnerin interviewen durfte, die gesagt hatte, sie habe früher mal bei der Straßenbahn gearbeitet und könne deshalb einen äußerst wichtigen Beitrag zu dieser Umfrage leisten. Und während Mr. McKenzie durch den Streit zwischen Chantelle und Elvis abgelenkt war, lief Norman weg. Nach ein paar Schritten blieb er aber noch mal stehen und rief mir zu: »Na los, Fliege! Komm doch mit in diese scheiß Kunstgalerie, verdammt, nackte Weiber angucken!«
    Eigentlich hatte ich keine besondere Lust, nackte Weiber anzugucken. Aber genauso wenig reizte es mich, hier auf der eisigen Straße über Straßenbahnen zu quatschen, während meine beiden besten Freunde ohne mich in die Kunstgalerie gingen.
    Ich sah zu Mr. McKenzie rüber. Er würde nichts merken, denn jetzt hielt Chantelle Smith die Luft an und würde gleich ihren Anfall kriegen, wie immer, wenn sie nicht ihren Willen bekam. Ich rannte los und holte Norman ein. Eigentlich hoffte ich, dass Norman jetzt etwas bessere Laune haben würde; aber auf dem Weg zur Kunstgalerie war er immer noch total schweigsam und schien mit seinen Gedanken meilenweit weg zu sein; langsam kam mir der Verdacht, ich hätte ihn vielleicht irgendwie verärgert. Deshalb fragte ich: »Alles in Ordnung, Norman?«
    Aber er nickte nur und starrte weiter vor sich hin. Und er schwieg die ganze Zeit, bis wir die Treppen zur Kunstgalerie hinaufstiegen. Da fragte er auf einmal: »Deine Mam und dein Dad, Fliege, sind die eigentlich … noch zusammen?«
    Ich schüttelte den Kopf und sagte zu Norman: »Nein. Mein Dad hat uns verlassen, als ich noch ganz klein war.«
    Norman blieb mitten auf der Treppe stehen, setzte sich auf eine Stufe und starrte vor sich hin. Ich setzte mich neben ihn. Und so saßen wir beide eine Weile da und starrten auf den Verkehr und die Passanten. Und dann stieß Norman einen tiefen Seufzer aus und sagte: »Wenn meiner doch auch endlich abhauen würde!«
    Ich sah ihn an. »Dein Dad?«, fragte ich.
    Norman nickte.
    »Ist er kein netter Mensch, Norman?«, fragte ich.
    »Ein richtiger Scheißkerl!«, erwiderte Norman.
    »Was hat er denn gemacht, Norman?«, fragte ich.
    Norman sah mich an. Dann zog er einen Shirtzipfel aus seiner Hose und sagte: »Da, schau!«
    Ich starrte sprachlos auf die riesige rote Prellung seitlich auf Normans Rippen. Dann schaute ich Norman an. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
    »Heute Morgen«, sagte Norman. »Da hat er mich erwischt, der Scheißkerl, als ich gerade mal nicht aufgepasst hab; hat mich einfach niedergeschlagen, die Drecksau.«
    Ich starrte die

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