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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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so aufregend, wie wenn ich mit meinen Freunden Norman und Twink, zusammen war. Eigentlich wollte ich nur noch die ganze Zeit mit Norman und Twink zusammen sein; wir unterhielten uns und schmiedeten Pläne und brachten einander zum Lachen; wir waren einfach schrecklich gern zusammen. Meine Oma verstand das. Selbst als sie schon geistig verwirrt war, merkte meine Oma gleich, was für eine ganz besondere Freundschaft Norman, Twinky und mich verband.
    Wir besuchten sie nämlich.
    Wir fuhren mit dem Bus nach Stalybridge. Und bevor wir ins Altenheim gingen, kaufte ich ihr eine Schachtel Garibaldikekse. Ich wusste zwar nicht, ob sich meine Oma erinnern würde, dass sie die mal so gern gegessen hatte, aber ich kaufte sie trotzdem.
    Die Pflegerin sagte, das sei aber mal nett von uns, dass wir so einen weiten Weg gemacht hätten, nur um eine arme alte Frau zu besuchen.
    Es gefiel mir nicht, wie die Pflegerin über meine Oma sprach. Meine Oma war keine arme alte Frau, sie war meine Oma!
    »Also«, sagte die Pflegerin und fuhr mit dem Finger eine Liste von Namen entlang, »Vera, stimmt’s? Vera Bradwell.«
    Ich nickte und die Pflegerin wiederholte: »Ja, Vera Bradwell.« Dann lachte sie und meinte augenzwinkernd: »Wir nennen sie hier Vera Madeira.« Sie lachte wieder. »Die kriegen hier alle einen Spitznamen«, sagte sie. »Das finden die toll.«
    Ich sah sie an und versuchte mir vorzustellen, dass meine Oma mit »Vera Madeira« angesprochen wurde und das auch noch toll fand.
    »Sie ist beim Konzert«, erklärte die Pflegerin. »Kommt mit, ich zeig euch den Tagesraum. Ihr könnt euch hinten reinsetzen und warten, bis es aus ist. Dann kannst du zu deiner Oma.«
    Wir liefen durch die Flure an vielen Zimmern vorbei. Bei manchen stand die Tür offen und man sah die alten Leute im Sessel sitzen oder im Bett liegen.
    »Die meisten von ihnen«, sagte die Pflegerin leise, »sind schon zu verwirrt, um an unserem Unterhaltungsprogramm teilnehmen zu können. Sie bleiben lieber gemütlich auf ihrem Zimmer. Natürlich versuchen wir manchmal, sie zum Lachen zu bringen wie alle unsere Gäste. Aber die hier sind schon viel zu verwirrt.«
    Sie sahen eigentlich gar nicht so furchtbar verwirrt aus, die alten Leute in ihren Zimmern; nur traurig und verschrumpelt. Mir taten sie Leid. Und Twinky empfand wohl das Gleiche, denn er winkte ihnen zu und schenkte ihnen sein schönes, strahlendes Lächeln.
    Norman aber lächelte nicht. Norman trottete mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Kopf neben uns her. Dabei runzelte er so finster die Stirn, dass seine Augenbrauen fast zusammenstießen. »Was hast du denn?«, flüsterte ich.
    Doch Norman schüttelte nur den Kopf und seine Miene verdüsterte sich noch mehr. »Die machen mir Angst, Fliege!«, flüsterte er.
    »Wer denn?«, fragte ich leise.
    Norman schüttelte wieder den Kopf und sagte leise: »Die alten Leute! Die machen mir Angst. Ich will heim.«
    »Norman, gleich geht’s dir besser«, beruhigte ich ihn. »Hab keine Angst. Meine Oma wirkt ganz bestimmt nicht alt. Im Grunde ist meine Oma gar keine alte Frau.«
    Und das stimmte, weil ich mir meine Oma wirklich nie als alte Frau vorstellte; jedenfalls nicht so wie die alten Leute dort, denen Twinky die ganze Zeit grüßend zuwinkte, als sei er ein prominenter Besucher. Und ich glaube, die Pflegerin, die uns den Weg zeigte, wurde sauer, als sie merkte, dass er plötzlich fehlte. Eine der alten Frauen hatte Twinky nämlich lächend zurückgewinkt, worauf er einfach in ihr Zimmer getanzt war; dort versicherte er ihr dann überschwänglich ein ums andere Mal, wie wunderschön ihr Bettüberwurf bestickt sei! Als die Pflegerin ihn holen wollte, unterhielt er sich mit der alten Frau gerade über Stickereien und beteuerte, dass er wirklich noch nie in seinem ganzen Leben eine so schöne, so dekorative Decke gesehen habe! Das tat der alten Frau sichtlich gut, ihre Augen leuchteten vor Freude. Sie saß da, hielt Twinkys Hand mit ihren Spatzenfingern umklammert und betonte, dass sie jeden einzelnen Stich selbst gestickt habe, denn früher seien ihre Hände noch flink und beweglich gewesen.
    Aber da hüstelte die Pflegerin und sagte laut, als sei die alte Frau blöde oder taub: »So Margaret! Diese Besucher sind nicht wegen Ihnen gekommen! Die wollen zu Vera Madeira!«
    Und im Flur meinte sie zu Twinky: »Margaret geht einem echt auf den Geist! Völlig humorlos. Margaret Thatcher nennen wir sie immer, Maggie Thatcher! Die mit ihren langweiligen

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