Der Fliegenfaenger
dass mich inzwischen alles total kalt lässt. Ich glaub, Scott hatte weniger Probleme, zu diesem scheiß Südpol zu kommen, als ich nach Grimsby. Nicht mal Trampen kann ich, jedenfalls vorerst nicht. Als ich nämlich hier ankam, standen schon sechs Leute in einer Reihe; sie sahen aus wie Studenten und jeder hielt ein Stück Pappe mit seinem Reiseziel vor sich, lauter lausige Nester wie Hull, Doncaster oder Goole.
Aber als ich mich einfach dazustellte und den Daumen rausstreckte, drehten sich alle um und starrten mich an, als hätte ich gefurzt.
»Was ist denn los?«, fragte ich.
Und das Mädchen mit der Glatze und den Unmengen Metall am Körper sagte: »Hey, Moment mal! Hier kann man sich nicht einfach so vordrängeln!«
Ich fragte: »Wie meinst du denn das?«
Aber sie starrte mich nur mürrisch an und saugte an ihrem Zungenpiercing. »Stell dich gefälligst hinten an«, klärte mich der Junge auf, der vor ihr stand, »und warte, bis du dran bist, verdammt noch mal! So meint sie das!«
Ich zuckte nur die Achseln. »Entschuldigung«, sagte ich. »Mir war nicht klar, dass beim Trampen neuerdings die gleichen Regeln gelten wie bei der internationalen Flugsicherung.«
Da ich jetzt nur böse Blicke erntete, kam ich zu dem Schluss, dass garantiert kein Comeback der Studentenunruhen drohte, und stellte mich brav ganz hinten in der Schlange an. Vermutlich kann ich hier noch stundenlang warten. Denn auf dem Stück Pappe, das der Typ vor mir in der Hand hält, steht ein sehr seltsames Reiseziel.Von mir aus kann ja jeder nach seiner Fasson selig werden, Morrissey, aber wenn ich erst an die Reihe komme, nachdem ihn jemand mitgenommen hat, warte ich hier bis zum Sankt Nimmerleinstag; statt Goole, Hull oder Nottingham steht auf seinem Pappkarton nämlich das Wort ERLÖSUNG. Er hat mich vorhin gefragt, wo ich hin will. Und als ich sagte »nach Grimsby«, hat er nur den Kopf geschüttelt und gemeint: »Tut mir Leid, mein Freund, aber da bist du auf dem falschen Weg!«
Ich kriegte einen Schreck und dachte schon, ich sei auf der falschen Seite der Autobahn gelandet. Aber er fügte hinzu: »Nein, mein Freund, es gibt nur ein einziges Ziel. Und wer dieses Ziel erreichen will, reist mit dem Herrn!«
Und deshalb hoffe ich, Morrissey, dass der Herr heute Abend hier vorbeikommt. Und zwar möglichst auf unserer Seite der M62, weil ich sonst nämlich hinter diesem erlösungsbedürftigen Heilssucher warten muss, bis ich schwarz werde. Wär mir im Grunde egal, aber da er nun schon mal diese christliche Einstellung hat, dachte ich, vielleicht ist er ja ein barmherziger Samariter und lässt mir den Vortritt. Ich erklärte ihm, dass ich heute noch den ganzen weiten Weg nach Grimsby vor mir hätte, und fragte, ob es ihm was ausmachen würde, mich vorzulassen.
Da schüttelte er den Kopf und sagte: »Mein Freund, es wäre ganz gleichgültig, wie weit du in der Schlange aufrücken würdest. Denn deinen wahren Bestimmungsort, mein Freund, wirst du niemals erreichen! Jedenfalls nicht, so lange du weiterhin ein falsches Idol anbetest.«
Ich entgegnete, dass ich eigentlich gar kein Idol anbeten würde. Aber da wies er mit einer Kopfbewegung auf mein T-Shirt und lächelte überheblich, als hätte er mich ertappt. »So, so!«, sagte er. »Bringt dich etwa Morrissey nach Grimsby?«
Ich sagte, nein, ich erwartete keineswegs, dass Morrissey mich nach Grimsby bringen würde.
Darauf er: »O doch, natürlich erwartest du das!« Und dann stand er einfach da und starrte mich an mit diesem selbstgewissen Grinsen im Gesicht.
Ich beschloss, den Mund zu halten. Meine Oma sagte immer, eine der wenigen Gewissheiten im Leben sei, dass man selbstgewisse Leute ganz gewiss meiden solle. Aber leider konnte ich ihn nicht meiden, weil er direkt vor meiner Nase stand. Gerade sagte er: »Weißt du, mein Freund, auch ich war früher einmal dort, wo du jetzt bist.« Er nickte grinsend und fuhr fort: »Auch ich habe einst meinen Glauben in ein hohles Gefäß gefüllt. Auch ich besaß die T-Shirts und Poster, die LPs und Singles!«
Ich blickte überrascht auf. » Du hast mal auf Morrissey gestanden?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf und sagte: »Nein. Nicht auf Morrissey. Das Gefäß, in das ich damals versehentlich meinen Glauben füllte, war ein Mann namens Billy Bragg.«
Plötzlich tat er mir aufrichtig Leid. Wenn ich auf Billy Bragg gestanden hätte, wär ich vielleicht auch irgendwann mal in der Kirche gelandet! Da gibt’s zumindest bessere Musik!
»Sie
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