Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
Vom Netzwerk:
jenem Moment im Probenraum erzählte und die Gitarre schilderte, die Der Fremde dabei gehabt hatte!
    »Eine akustische Guild aus der Vorkriegszeit, abgeschrägt, mit kleinem Korpus«, sagte Sowerby Slim. Und ehrfürchtig fügte er hinzu: »Mit dem gesprenkelten Perlmuttschlagbrett. Und den Originalstimmwirbeln aus Elfenbein.«
    Sowerby Slim sah, dass ich ihn mit aufgerissenen Augen und offenem Mund anstarrte.
    »Alles in Ordnung, Junge?«, fragte er.
    Ich nickte. Und dann fragte ich: » Alle? Alle sechs Originalelfenbeinwirbel?«
    Sowerby Slim beugte sich vor, tätschelte mein Knie und sagte: »Das gefällt mir, Junge, dass jemand aufs Detail achtet, wenn es um so ein ernstes Thema wie Musikinstrumente geht.« Dann hob Slim den Finger und fuhr fort: »Komisch, dass du gerade die Wirbel erwähnst, Junge. Die waren nicht vollständig, nein. Ein Wirbel fehlte. Nur ein einziger, wohlgemerkt. Und ich erinnere mich deshalb so genau dran, weil irgend wer diesen fehlenden Wirbel ersetzt hatte und zwar richtig plump. An so ein Spitzeninstrument hätte ich mich nie rangewagt! Aber wer immer den fehlenden Wirbel ersetzt hatte – er hatte einfach ein stinknormales billiges Silberteil genommen. Und … das war wirklich ein Verbrechen! So ein Spitzeninstrument zu reparieren, indem man einfach nur …«
    Und jetzt ließ sich Slim lang und breit über die Schludrigkeit mancher Instrumentenbauer aus. Doch ich hörte nicht mehr zu, Morrissey. Ich wollte nichts mehr über die Gitarre hören. Ich wollte etwas über den Fremden erfahren, dem sie gehört hatte.
    »Was ist denn passiert?«, fragte ich.
    Die Desperadoes sahen sich lächelnd an, selbst Deak der Drummer lächelte. Und Sowerby Slim sagte: »Junge, es gibt vorspielen und vorspielen . Und ich kann mit ziemlicher Sicherheit behaupten, dass ich so was wie damals nie mehr erleben werde.«
    »War er gut?«, fragte ich. »Hat er gut gespielt?«
    »Gut?«, erwiderte Cindy-Charlene. »Gut? Er kam zu uns auf die Bühne und wir sagten: ›Okay, Kumpel, was würdest du denn gern spielen?‹ Da zuckte er verlegen die Achseln. Und dann sagte er sehr, sehr leise: »Ich überlege gerade, ob ihr ›Country Boy‹ kennt?«
    Cindy-Charlene machte eine Pause und starrte mich an. Sie nickte vielsagend.
    »Tja, und da wussten wir«, fuhr Cindy-Charlene fort, »dass uns einiges erwartete. Ein Stück wie ›Country Boy‹ schlägt man kaum vor, wenn man nichts vom Gitarrespielen versteht.«
    »Genau«, pflichtete Slim bei. »Ich hab schon viele Gitarristen – viele gute Gitarristen! – an ›Country Boy‹ scheitern sehen. Selbst Albert Lee ist an manchen der besonders schnellen Stellen dieses tückisch schweren Stücks mit dem Fingersatz durcheinander gekommen.«
    Slim saß da und nickte, ganz in Erinnerung versunken. Aber dieser scheiß Albert Lee interessierte mich nicht.
    »Und der Cowboy?«, fragte ich. »Wie war die Fingertechnik des Cowboys?«
    »Seine Fingertechnik ?«, sagte Sowerby Slim. »Seine Fingertechnik … das glaubt man erst, wenn man’s gesehen hat.«
    »Seine Fingertechnik ?«, wiederholte Cindy-Charlene. »Wir gaben ihm den Takt vor, vier Schläge auf Deaks Snaredrum; und er kam auch gleich rein in dieses erste Solo, schlug mit dem Fuß perfekt den Takt wie ein Metronom, warf den Kopf zurück, hatte die Augen zu wie in Trance. Und die Finger! Ich hab noch nie Finger gesehen, die das Griffbrett so schnell rauf und runter flitzen konnten wie damals bei diesem Cowboy.«
    Die Desperadoes versanken in Schweigen. Auf ihren Gesichtern lag ein Lächeln, als sie noch einmal die Erinnerung an jenen Moment auskosteten. Und auch ich lächelte; es war ein strahlendes, herzliches Lächeln, das aus den Tiefen meiner Seele zu kommen schien.
    Und ich sagte zu den Desperadoes: »Das muss ja phantastisch gewesen sein! Das muss ja absolut phantastisch gewesen sein, den Cowboy so spielen zu sehen!«
    Die Desperadoes sahen mich an. Und ich erwiderte ihren Blick, immer noch mit diesem strahlenden, herzlichen Lächeln im Gesicht. Aber da schüttelte Cindy-Charlene langsam den Kopf und wirkte jetzt irgendwie bedrückt.
    »Aber er hat ja gar nicht gespielt!«, sagte sie. »Darum geht’s! Er hat nicht gespielt . Nur seine Finger sind rasend schnell hin und her geflitzt. Doch kein einziger Ton hatte die geringste Ähnlichkeit mit ›Country Boy‹; nicht mal mit etwas, das man im weitesten Sinn als Musik bezeichnen könnte!«
    Sowerby Slim schüttelte seinen bärtigen Kopf und sagte bekümmert: »Es

Weitere Kostenlose Bücher