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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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Er schwamm direkt auf mich zu, hob lächelnd den Arm, um mir grüßend zuzuwinken, und streckte die Hand aus. Und mit dem letzten bisschen Kraft, das mir noch geblieben war, ergriff ich seine Hand. Und dann sank ich sanft hinab, immer tiefer, immer tiefer hinab, ganz sanft; in die dunkelsten Tiefen des Wassers.

    Mit freundlichen Grüßen
Raymond Marks

Ein Friedhof,
Plinxton,
North Derbyshire
(glaub ich jedenfalls!)

    Lieber Morrissey,

    ich weiß, ich sollte eigentlich nicht hier sein, ich sollte gar nicht in dieser Gegend sein. Ich hatte auch gar nicht vor, nach Plinxton zu fahren. Bis heute Abend hatte ich von diesem Ort nie was gehört. Aber ich musste herkommen, Morrissey; auch wenn das heißt, dass ich jetzt meilenweit von meinem eigentlichen Ziel abgekommen bin; viele, viele Meilen. Doch ich musste nach Plinxton. Es ist nämlich was passiert, Morrissey. Und deshalb musste ich herkommen!
    Ich dachte immer, diese Country & Western-Typen seien zu bedauern. Und unbedingt zu meiden! Ich dachte, die sind wie Moriskentänzer und Briefmarkensammler, wie Leute, die Dampfmaschinen polieren und über den herrlichen Geschmack von echtem Ale ins Schwärmen geraten; harmlos, aber schrecklich!
    Erst hatte ich fast ein schlechtes Gewissen, als ich in den Van stieg; vor allem, weil ich im Nachrücksystem der Anhalter erst an dritter Stelle kam und der Heilssucher und das glatzköpfige Piercing-Girl noch vor mir dran gewesen wären. Aber der Van war an beiden vorbeigefahren und hatte extra für mich angehalten. Ich saß immer noch im Gras, als plötzlich jemand rief:
    »Na los, Kumpel, steig ein!«
    Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Jemand öffnete die hintere Tür, ich sprang rein, und der Heilssucher und das Mädchen mit dem Zungenpiercing schimpften hinter mir her, das sei ja oberfies, sich einfach so vorzudrängeln!
    Aber schließlich hatte man nicht für sie angehalten, sondern für mich. Die Dewsbury Desperadoes hatten nämlich beim Anblick meiner Gitarre gedacht, ich sei auch als Country& Western-Sänger auf dem Weg zum Country-Music-Festival in Plinxton, das im Vereinigten Metzger- und Architektenklub stattfindet. Und als nette Countrykumpel hatten die Dewsbury Desperadoes angehalten und mich mitgenommen. Erst als ich dann auf einem Koffer saß und der Bus anfuhr, nahmen sie mich genauer unter die Lupe. Und ich glaube, beim Anblick meines Morrissey-T-Shirts waren sie alle ein bisschen enttäuscht. Aber sie waren zu höflich, um mich einfach wieder rauszuwerfen. Und deshalb machte ich es mir auf dem Koffer so bequem wie möglich, während mich die Dewsbury Desperadoes anstarrten.
    Irgendwann wies Cindy-Charlene, die Countrysängerin der Desperadoes, mit dem Kopf auf mein T-Shirt und fragte: »Wer ist denn das?«
    »Edith Sitwell«, sagte ich.
    Cindy-Charlene nickte vorsichtig. Und der Desperado namens Deak, der ziemlich magenkrank wirkte, fragte mit finsterer Miene: »Wer?«
    »Edith Sitwell«, wiederholte ich. Aber Deak starrte mich ausdruckslos an; und da ich ihn für den Drummer der Gruppe hielt, fügte ich hinzu: »Dichterin zur Zeit von König Edward, Performancekünstlerin und englische Exzentrikerin.«
    »Und potthässlich!«, sagte Deak. »Schau dir diese Fresse an!«
    Ich sagte nichts, dachte aber, dass Dolly Parton und Emmylou Harris bestimmt auch nicht mehr so knackig aussehen werden, wenn sie mal fast neunzig sind!
    Danach ließen sie mich einfach links liegen. Und Sowerby Slim, der bullige Bassist, offenbar der Boss der Desperadoes, sagte, sie müssten sich jetzt langsam einsingen. Deak der Drummer maulte, ob das denn unbedingt nötig sei, worauf Cindy-Charlene ihm vorwarf, er sei nicht nur ein beschissener Schlagzeuger, sondern auch noch ein richtiger Miesepeter.
    »Ja, es muss unbedingt sein«, sagte sie, »wir müssen uns einsingen. Und wir müssen dort auftreten. Ob’s dir passt oder nicht, wir ziehen das durch; für den Cowboy; zum Andenken an ihn.«
    Ich wusste nicht, wen sie meinte. Aber jetzt begann Sowerby Slim zu singen und die andern fielen ein. Und ich saß wehrlos da, während diese musikalisch retardierten Vollidioten mit einem bunten Reigen Grauen erregender Countryklassiker die Luft verpesteten – zum Beispiel »I’ve Never Been to Bed with an Ugly Woman, But I’ve Sure Woken up with a Few.«
    Es war alles so deprimierend und melancholisch, dass ich mich fast schon wieder wie zu Hause fühlte. Aber dann, mitten in einem geradezu mörderisch grässlichen Song mit dem Titel »The Dog

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