Der Fliegenfaenger
war furchtbar. Wirklich furchtbar.«
»Und richtig peinlich«, fügte Cindy-Charlene hinzu. »Weil wir nicht wussten, was wir tun sollten. Wir wollten ihn doch nicht kränken. Und deshalb mussten wir weitermachen, als sei es eine ganz normale Probe. Und jedes Mal, wenn eines seiner Solos kam, juchzte er vor Freude, sprang in die Luft oder ließ sich auf ein Knie fallen, hängte sich voll rein und stemmte den Gitarrenhals von sich weg, als sei er Hendrix, Clapton, Django Reinhardt und Chet Atkins in einer Person.«
»Und das Schlimmste kam am Schluss«, erzählte Deak weiter. »Am Ende der Nummer stand er da, lächelte uns alle an und fragte, ob er den Job jetzt kriege.«
»Wir haben erst mal gar nichts gesagt«, erklärte Cindy-Charlene. »Weil wir ja sahen, weil wir schon damals sahen, was für ein … ach, was für ein sanfter, argloser Mensch er war. Ich zerbrach mir den Kopf nach einer diplomatischen Lösung und überlegte, ob wir’s ihm nicht irgendwie schonend beibringen konnten. Aber da warf Deak einfach seine Stöcke in die Luft und sagte: ›Den Job? Er fragt uns, ob er den verdammten Job kriegt! Wir suchen einen Gitarristen, Kumpel, keinen Typen mit zwei linken Händen, der eine Viertelnote nicht von’nem Kriegsbeil unterscheiden kann!‹«
Bei der Erinnerung an diesen grauenhaften Moment schüttelte Cindy-Charlene den Kopf. »Er tat mir furchtbar Leid«, sagte sie. »Er tat mir so schrecklich Leid, als Deak das zu ihm sagte. Es mag ja die Wahrheit gewesen sein, aber es ist nicht leicht, wenn einem jemand sagt, dass man nicht gut ist.«
»Und das Komische war«, meldete sich Sowerby Slim wieder zu Wort, »das Komische war, dass es ihm gar nichts auszumachen schien.«
Cindy-Charlene nickte und sagte: »Stimmt. Er war überhaupt nicht gekränkt. Nein, er bedankte sich bei uns allen, sogar bei Deak, und sagte, er sei uns sehr, sehr dankbar und es sei eine ganz besondere Ehre für ihn gewesen, uns vorspielen zu dürfen. Und dann stieg er einfach von der Bühne runter, die Gitarre im Arm, und steuerte auf den Ausgang zu.«
Cindy-Charlene schüttelte traurig den Kopf. »Und das war’s dann«, sagte sie. »Oder vielmehr, das wär es gewesen, wenn der Hausmeister nicht schon vorn abgeschlossen hätte. Er dachte, wir seien fertig und würden hinten rausgehen. Als der Fremde ins Foyer kam, waren die Türen zu. Und da er kein Aufhebens machen wollte, setzte er sich auf eine Bierkiste und wartete geduldig, bis jemand zum Aufschließen kam.«
»Aber das wussten wir nicht«, erzählte Slim. »Wir wussten nicht, dass er draußen im Foyer saß. Wir saßen im leeren Saal, ziemlich deprimiert von den drei Tagen, in denen wir erfolglos tausend Gitarristen ausprobiert hatten, und vor allem deshalb, weil dieser Fremde mit den zwei linken Händen und der abgeschrägten Guild noch einmal so große Hoffnungen in uns erweckt, aber sie dann gleich wieder zerstört hatte.«
»Und als wir es hörten«, sagte Cindy-Charlene, »dachten wir erst, da hätte jemand eine Platte aufgelegt.«
»Ja, aber was für eine Platte!«, warf Deak ein.
»Wie meinst du das?«, fragte ich.
»Na ja, wir saßen so rum«, erklärte Cindy-Charlene, »und da haben wir’s eben gehört.«
»Diesen … Sound«, sagte Slim, »ein Sound, der … dein Herz einwickelt. Ein Sound, bei dem man am liebsten geweint … und gleichzeitig vor Freude gejauchzt hätte.«
Ich sah Sowerby Slim an. »Was soll das heißen? Was für ein Sound?«
»Gesang.« Sowerby Slim schloss die Augen. »Eine Melodie. Eine Stimme … die sang. Aber so, wie du es in deinem ganzen Leben noch nie gehört hast.«
»Es war eine Stimme«, sagte Cindy-Charlene, »eine Stimme wie eine wunderbare süßsaure Sauce; gleichzeitig süß und scharf; voll, weich und rund wie eine Frau, aber gleichzeitig hart und muskulös wie ein Mann; brüchig und doch geschmeidig; gleichzeitig sanft und rau. Die Stimme klang, als sei sie in den Küchen des Himmels mariniert worden. Und jeder Ton schwebte wie auf Engelsschwingen zu uns rüber in den leeren Saal.«
»Und wir saßen da«, sagte Deak, »und dachten, wir lauschten einer Schallplatte, einer unschätzbaren Rarität. Aber irgendwann schauten wir uns an, weil uns dämmerte, dass es keine Schallplatte sein konnte. Sonst hätten wir ja auch Instrumente gehört. Und plötzlich brach die magische Melodie mittendrin ab, und wir hörten George, den Hausmeister, irgendwas ins Foyer rufen. Dann hörten wir Schlüssel klirren. Und da sprangen wir alle
Weitere Kostenlose Bücher