Der Fliegenfaenger
leidenschaftlichen Appelle stellte der Kexborough Cowboy nur seinen Bierkrug hin, drehte sich um und ging langsam aus dem Saal. Die Hebden Bridge Hoboes stimmten zum dritten Mal ›One More Tequila Sheila And We’ll Make the Border Tonight‹ an und übertönten das frustrierte, verärgerte Geschrei des Publikums. Und die süße Patsy, schon ganz schwach vor Begierde, leckte sich lüstern die Lippen und starrte zu ihrem Pferdeschwanzhelden hinauf.
Der Cowboy lief einfach weiter. Er wusste nicht, wohin, und es war ihm egal. Er lief und lief, bis er irgendwann an eine Kirche kam. Und obwohl er kein besonders religiöser Mensch war, zog der Kexborough Cowboy, der des Trosts bedurfte, den Riegel des Kirchhoftors zurück und setzte sich auf eine Bank unter eine uralte knorrige Eibe. Und dort wurde sein Blick von einer angestrahlten Tafel gebannt, auf deren hellgelber Hartfaserplatte in dunkelroten Buchstaben die Worte standen: ›Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Himmelreich besitzen.‹ Und obwohl diese Worte eigentlich diejenigen trösten sollten, die gar nichts besaßen, und den Kummer derer lindern sollten, auf denen immer nur herumgetrampelt wird, hatte die schlichte Seligpreisung auf ihn genau den gegenteiligen Effekt. Der Cowboy dachte über sein sanftmütiges, friedfertiges Verhalten nach und kam zu dem Schluss, dass es ihm keineswegs das Himmelreich beschert hatte, sondern nur ein kaltes, einsames Haus in Kexborough, einen traurigen Hund und ein gebrochenes Herz. Und als der Cowboy sich von der Bank erhob, packte er mit seinen sonst so sanften Händen den Pfosten, an dem die Lügentafel befestigt war; und mit einer aus jahrelanger Selbstbeherrschung und Demütigung geborenen Wut riss er den Pfosten aus dem Boden und drosch die Tafel mit der Seligpreisung so lange in den Boden, bis die Worte nicht mehr zu entziffern waren. Er wusste jetzt, er wusste es in seinem hämmernden, aufgewühlten Herzen, dass die Sanftmütigen überhaupt nichts besaßen und dass die Bösen, Unzuverlässigen, Grausamen, Brutalen, die Starken, Harten, Skrupellosen alles, alles kriegten. Und während der Cowboy wieder zum Metzger- und Architektenklub zurücklief, diesmal zielstrebig und entschlossen, lachte er laut; er lachte und lachte, über seine eigene Verrücktheit und darüber, dass er sich seiner Patsy gegenüber wie eine Taube verhalten hatte, so nachgiebig und sanft, und dass er allen Ernstes geglaubt hatte, sie werde ihm seine Rücksichtnahme und Freundlichkeit mit Liebe vergelten. All die Jahre hindurch war er eine Taube gewesen, und sie hatte ihn für diesen Stecher, diesen Steelgitarristen mit Pferdeschwanz und fragwürdiger Grifftechnik verlassen.
Und als der Kexborough Cowboy hysterisch lachend an den Häusern und Cottages vorbeimarschierte, war er bereits fest überzeugt, das Herz der geliebten Frau nur dadurch zurückerobern zu können, dass er die Taube fliegen ließ und die Bestie herausließ!«
»Wir waren unterwegs und suchten ihn«, erzählte Cindy-Charlene weiter. »Die Hoboes hatten nur noch wenige Nummern, und dann kam unser zweiter Auftritt. Wir kurvten mit dem Van kreuz und quer durch Plinxton, aber der Cowboy war nirgends zu sehen. Also mussten wir wohl oder übel zum Klub zurückfahren und dem Konzertveranstalter sagen, dass wir unseren zweiten Auftritt leider nicht wahrnehmen konnten. Aber der Mann hatte gerade ganz andere Sorgen, denn er und ein paar weitere Ausschussmitglieder rannten hektisch im Foyer rum und schauten alle paar Sekunden vor die Tür, ob nicht bald die Polizei käme. Andere erzählten schnaufend jedem, der es hören wollte, dass man sich wirklich nicht wundern müsse, wo doch zwei Drittel der Jugendlichen von Plinxton regelmäßig Ekstasy, LSD und Kokain konsumierten. Und der Grund für diesen ganzen Tumult war, dass irgendjemand im Trophäenraum eine Glasvitrine eingeschlagen und das Große Goldene Filetiermesser gestohlen hatte.«
»Da erstarrte mir das Blut in den Adern«, sagte Sowerby Slim. »Als ich die zerbrochene Vitrine sah, wusste ich plötzlich, warum wir den Cowboy erfolglos in den Straßen von Plinxton gesucht hatten.«
Sowerby Slim machte eine Pause. Er hatte die Augen weit aufgerissen, als sähe er alles wieder genau vor sich. »Denn als wir nach ihm suchten, war der Kexborough Cowboy schon wieder im Klub, schlug mit der Faust die Glasvitrine ein und schnappte sich das Große Goldene Filetiermesser. Es stammte aus den Stahlwerken in Sheffield und hatte eine
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