Der Fliegenfaenger
Missverständnis war, Morrissey; es war einfach nur ein Missverständnis. Und alles, was danach geschah, ist auf dieses Missverständnis zurückzuführen. Ich will, dass du das weißt, Morrissey. Irgendwie wurde alles verdreht und verzerrt. Wenn man mir damals zugehört hätte, als die Sache am Kanal passierte, wär alles ganz anders gekommen. Aber einem Elfjährigen hört eben keiner zu. Und mir ist es egal, was die sagen, scheißegal, weil ich es weiß, auch wenn es sonst niemand weiß – wir haben damals nicht gewichst! Keiner von uns. Ich weiß, dass wir unsere Dinger draußen hatten, alle fünfzehn. Aber wenn man seinen Pimmel draußen hat, heißt das noch lange nicht, dass man wichst. Nicht unbedingt. Damals haben wir im Sommer immer unsere Pimmel rausgeholt, unten am Kanal. Es konnte ja keiner sehen. Hinter uns war die Wand einer großen Lagerhalle, seitlich standen Bäume, und wenn jemand kam, haben wir unser Ding schnell in die Hose zurückgestopft, bis wir wieder allein waren. Ich weiß nicht mal mehr, wie es eigentlich angefangen hat. Jedenfalls hat niemand gesagt: »Kommt, wir holen unsere Pimmel raus.« Wir haben’s einfach gemacht. Und uns dabei weiter über Lego oder Schule oder Fußball unterhalten oder über irgendeinen Film, der am Abend vorher im Fernsehen lief. Und als wir an einem Tag wieder so rumstanden und über Briefmarken oder Star Wars quatschten, landete vorn auf meiner Schwanzspitze eine Fliege und ich hab einfach instinktiv reagiert. Bevor die Fliege wusste, wie ihr geschah, hatte ich schon meine Vorhaut drübergestülpt und hielt sie eine Minute lang fest. Als ich sie wieder zurückzog, fiel die erstickte Fliege von meinem Schwanz runter. Die andern Jungs fanden das total super. Und so begann der Fimmel mit dem Fliegenfangen. Immer wenn’s in der Schule Mittagessen gab, gingen wir runter zum Kanal und es wurde ein richtiger Wettkampf, wer die meisten Fliegen erbeutete. Ich weiß nicht mehr, wer die meisten erledigt hat, jedenfalls war Albert Goldberg immer der Verlierer. Obwohl wir ein Handicap für ihn festlegten, konnte Albert mit seinem beschnittenen Ding wirklich keiner Fliege was zuleide tun. Manchmal wollte er sie mit dem Finger totschnipsen, aber er traf meistens nur seine Schwanzspitze und bekam nasse Augen. Doch eines Mittags, als wir wieder mal zum Kanal runtergingen, um Fliegen zu fangen, grinste Albert wie ein Honigkuchenpferd, und als wir ihn fragten, warum, zog er ein kleines Glas aus der Tasche. Es war Honig drin, und Albert erklärte uns, dass er damit die Fliege so lange vorn auf der Spitze festhalten würde, bis er sie totschnipsen konnte. Er schmierte sich also Honig aufs Glied und fing plötzlich so viele Fliegen, dass ein paar von uns sagten, das sei Betrug und unfair und Honig sei nicht erlaubt. Dadurch entstand ein Streit zwischen Albert und Kevin Cowley, und während Albert schrie, es sei ja auch nicht fair, dass die Nichtjuden so im Vorteil seien, lockte der Honig am Ende seines Geräts eine Wespe an. Albert sah gar nicht hin. Er hielt sie für eine Fliege und schnipste nach ihr, während er immer noch Kevin Cowley anbrüllte. Das nahm ihm die Wespe ziemlich übel und kam zurück. Diesmal stach sie ihn, und zwar direkt ins Ende seines Honiglümmels, und Albert schlug instinktiv nach ihr. Aber vor lauter Schreck über den Stich traf er daneben, schlug sich mit voller Wucht in die Eier und kippte kopfüber in den Kanal. Im ersten Moment brüllten wir alle vor Lachen. Aber als er nicht mehr auftauchte, packte uns panische Angst, weil uns nämlich einfiel, Albert konnte nicht schwimmen. Ohne groß zu überlegen, sprang ich hinterher. Ich konnte nichts sehen und tastete mich an glitschigem Unkraut, rostigen Fahrradrahmen und Einkaufswagen entlang. Ich dachte, mir platzen die Lungen, aber das war mir egal, ich konnte den Gedanken, dass Albert tot sei, nicht ertragen. Also zwang ich mich, weiterzuschwimmen. Doch als ich immer schwächer und erschöpfter wurde, wusste ich, dass ich jetzt unbedingt Atem holen musste. Ich tauchte auf und schnappte keuchend nach Luft; mir war total schwindlig und irgendwie hatte ich keine Kraft mehr, noch mal runterzutauchen. Aber dann sah ich die Gesichter meiner Freunde am Ufer. Sie wirkten völlig verängstigt, Kevin Cowley und Geoffrey Weatherby weinten sogar. Und ich glaube, ich weinte auch und wusste nicht mehr, was ich tun oder denken sollte. Doch plötzlich hörte ich mich zu den Jungs am Ufer sagen: »Ich versuch’s noch
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