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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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alle Leute würden mich anstarren, als wüssten sie, was ich vorhatte. Ich schwitzte mein ganzes T-Shirt durch und das Foto von Edith Sitwell sah aus, als trüge sie einen Bart. Ich hatte wahnsinnige Gewissensbisse, dabei war doch noch gar nichts passiert! Ich dachte daran, dass ich meiner Mam versprochen hatte, keinen Mist zu bauen. Und jetzt war ich drauf und dran, mich eines ernsten Vergehens schuldig zu machen, indem ich, ohne im Besitz eines gültigen Fahrscheins zu sein, ein öffentliches Verkehrsmittel benutzte. Andererseits würde sich meine Mam noch viel mehr Sorgen machen, wenn ich mich heute Abend nicht aus Grimsby meldete. Ich sah mich um. Jetzt hatte ich endlich das Gefühl, dass mich keiner der rechtmäßigen Karteninhaber mehr anstarrte. Deshalb zog ich schnell die Waggontür auf, warf meine Sachen in den Zug und kletterte hinterher. Eigentlich hatte ich mich auf dem Klo einschließen wollen. Aber die Tür war zu und es klebte ein großer gelber Zettel dran mit der Aufschrift »defekt«. Ich wollte zur Toilette am anderen Ende des Gangs, aber ein junger Typ, der wie ein leitender Angestellter aussah, war schneller und sperrte von innen zu. Plötzlich merkte ich, dass sich dem Zug zwei Schaffner näherten, und zwar in Begleitung des Fahrkartenverkäufers, der jetzt auf den Zug deutete. Da wurde mir klar, dass er mir die Ausrede mit den Lokomotivnummern doch nicht abgekauft, sondern nur so getan hatte, um mich auf frischer Tat zu ertappen. Plötzlich geriet ich in Panik und rannte zu den Toiletten am andern Ende des Waggons. Aber der Waggon war voll, und meine Gitarre, die ich mir über den Rücken gehängt hatte, knallte dauernd gegen die Sitze. Alle starrten mich an. Und dann traf sie einen Mann, der gerade aufstehen wollte, am Kopf. Ich drehte mich um und sagte: »’tschuldigung, tut mir Leid.« Da sah ich, dass es der Kerl mit dem bepissten Haarschnitt war, der vorhin gesagt hatte, er würde mich gleich erdrosseln.
    »Und ob dir das Leid tun wird!«, sagte er und rieb sich den Kopf, während er auf mich zukam. »Es wird dir sogar noch verdammt Leid tun, wenn ich dich erwische!«
    Und in dem Moment rief der Fahrkartenverkäufer: »Da hinten! Da hinten ist der kleine Gauner! Haltet ihn!«
    Ich schaffte es bis zum Ende des Waggons und wollte hinausspringen, aber gerade als ich die Tür öffnen wollte, kam draußen einer der Schaffner angerannt. Und jetzt blieb mir nichts anderes mehr übrig; ich musste aus der gegenüberliegenden Tür springen, quer über die Schienen laufen und auf den nächsten Bahnsteig klettern. Als ich schon fast drüben war, drehte ich mich um und sah, dass der Fahrkartenverkäufer und der Würger, der die Gitarre an den Kopf gekriegt hatte, gerade auf die Schienen springen wollten, um mir nachzulaufen. Aber in dem Augenblick donnerte ein D-Zug so schnell durch die Station, dass es mir fast die Plomben aus den Zähnen zog.
    Ich kletterte auf den Bahnsteig und glaubte schon, ich hätte es geschafft. Ich lief zum Ausgang. Alles war noch mal gut gegangen! Ich würde es schaffen! Aber als ich unten an der Fußgängerbrücke vorbeirannte, kam plötzlich ein wieselflinker Zugbegleiter die Treppe heruntergeflitzt und kriegte mich von hinten an der Gitarre zu fassen. Und da ich mit meinem Instrument immer noch wie mit einer Nabelschnur verbunden war, gab ich auf und wurde über die Fußgängerbrücke zurückgeführt. Ich beteuerte zwar immer wieder, ich sei nur in den Zug gestiegen, um aufs Klo zu gehen; ich hätte bloß Bauchweh gehabt und wirklich nicht mitfahren wollen. Doch ich bekam nur zu hören, das könnte ich der Polizei erzählen. Man brachte mich hierher und übergab mich dem Stationsvorsteher, der als Erstes mal die Tür absperrte. Als er mich nach Namen und Adresse fragte, überlegte ich kurz, ob ich lügen sollte. Aber dadurch wär alles noch schlimmer geworden. Deshalb nannte ich meinen richtigen Namen und der Stationsvorsteher telefonierte mit der Polizei. Und als er eine Weile schwieg, wusste ich, dass sie jetzt meinen Namen im Computer überprüften. Dann legte der Stationsvorsteher auf und sagte, die Polizei werde gleich da sein.
    Ich weiß jetzt, dass ich es nicht nach Grimsby schaffen werde. Jetzt nicht mehr. Nicht, nachdem die im Computer alles über mich gelesen haben. Ich hasse Computer. Sie sagen nicht die Wahrheit. Sie nennen nur die Fakten. Deswegen hab ich beschlossen, dir alles zu erzählen, Morrissey. Das mit dem Kanal und so weiter. Weil es nämlich nur ein

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