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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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nicht, dass er mich zurückließ, an dieser Straßenecke bei den Docks in Grimsby. Denn bei ihm fühlte ich mich sicher und geborgen. Aber genau wie meine Mam wusste ich, dass es albern war, in der Nähe eines Menschen bleiben zu wollen, den man kaum kannte; damit man sich weiter sicher und geborgen fühlt.
    Deshalb dachte ich, ich träumte schon wieder, als plötzlich die Rücklichter aufleuchteten und der Wagen anhielt. Und dann stieg der Amerikaner aus und winkte mich her.
    Ich rannte los, als hätte ich Flügel! Als würde ich hochgehoben und über die Straßen, Häuser, Läden von Grimsby hinweggetragen, als flöge ich auf und davon und ließe Baustellen, schwarze Pullunder und Fisch Dock Nr. 9 hinter mir.
    Aber noch während ich auf den Wagen zurannte, deutete der Amerikaner auf ein Schild und rief mir zu: »Schau mal, ich hab sie zufällig entdeckt! Die Slinger Street!«
    Ich lief langsamer. Fiel wieder Richtung Erde. Ich lächelte gezwungen und sagte: »Danke.«
    »Also«, meinte er, »dann ist ja alles in Ordnung, oder?«
    Ich nickte.
    Und er winkte mir zu, stieg wieder in den Wagen und sagte: »Hey, Raymond, halt die Ohren steif, okay? Halt die Ohren steif!«
    Ich nickte wieder. Und schaute dem Wagen nach, bis er verschwunden war. Dann bog ich in die Slinger Street. Und ich dachte, was für tolle Amerikaner die Amerikaner doch waren. So was können nur sie. Wenn nämlich irgendein Engländer zu mir gesagt hätte, halt die Ohren steif , hätte ich wahrscheinlich kotzen müssen! Aber Amerikaner können so was ungestraft sagen; denn Amerikanern ist es nicht peinlich, dass sie Amerikaner sind.
    Solchen Gedanken hing ich nach, während ich nach der Pension suchte.
    Und eigentlich hätte ich es wissen müssen, Morrissey, noch bevor ich an die Tür klopfte und auf die Kligel drückte. Im Grunde machte es mir nicht mal was aus.
    Sie sagte: »Es spielt keine Rolle, ob Sie reserviert haben. Solange Sie keine Anzahlung machen, kann ich Ihnen kein Zimmer geben.«
    »Aber ich hab Ihnen doch gesagt, dass mir mein ganzes Geld gestohlen wurde«, erwiderte ich. »Morgen fang ich hier an zu arbeiten. Da kriege ich bestimmt einen Vorschuss und kann Ihnen die Anzahlung geben.«
    »Sehr gut!«, sagte sie. »Tun Sie das. Aber heute können Sie hier jedenfalls ohne Anzahlung nicht übernachten.«
    Ich versuchte es noch mal, ohne Erfolg. Schließlich gab ich’s auf und ging durch den Flur zur Haustür zurück.
    »Ich führe ein Geschäft!«, erklärte sie. »Ich kann es mir nicht leisten, Zimmer für Leute freizuhalten, die hier mitten in der Nacht aufkreuzen und dann keine Anzahlung machen können.«
    Sie laberte noch weiter, aber ich ging einfach aus dem Haus.
    Ich war froh! Es roch nach Katzenpisse und Kabeljau!
    Da hätte ich sowieso nicht bleiben wollen.
    Ich lief einfach weiter. Es machte mir nichts aus, im Freien zu sein, so lange es so warm war.
    Irgendwann kam ich nach Cleethorpes. Das ist ganz nah bei Grimsby, sieht aber aus wie ein Seebad. Jetzt bin ich gerade in so einem hölzernen Sonnenunterstand auf der Strandpromenade. Hier sitzen wohl tagsüber die Pensionäre, füttern die Möwen und unterhalten sich über ihren Ischias. Die Bänke sind ein bisschen hart, aber ich hab meine Reisetasche als Kopfkissen benutzt und konnte tatsächlich ein paar Stunden schlafen. Doch dann ging schon sehr früh die Sonne auf, und ich fand keinen Schlaf mehr.
    Hier ist es total altmodisch, Morrissey: ein Pier, Karussells und alle möglichen Passagen, Cafés und Zuckerwattebuden. So früh am Morgen hat natürlich alles zu. Und vielleicht ist es hier deshalb so schön, Morrissey: bevor Cleethorpes erwacht, bevor es zu Bewusstsein kommt und zum schrillen Schauplatz oberflächlicher Vergnügungen wird.
    Noch aber ist alles ruhig und klar, in der heiligen Stille der leeren Straßen, der verlassenen Strandpromenade. Und weit, weit jenseits des Sands, Morrissey, sehe ich in der Ferne die Silhouetten der Schiffe und Boote, die den Humber hinaufkriechen und immer kleiner und undeutlicher werden, je mehr sie sich dem südlichen Teil der Flussmündung nähern, Kurs auf die Nordsee nehmen und schließlich irgendwann verschwinden.
    Dort schaute ich hin, starrte einfach über den Sand, als ich sie bemerkte.
    Sie lief in ziemlich großer Entfernung am Strand entlang, eine dunkle Silhouette vor dem silbernen Gleißen des sonnenbeschienenen Wassers.
    Oder vielleicht sah ich sie gar nicht! Vielleicht hab ich sie mir ja nur eingebildet.
    Aber es wirkte

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