Der Fliegenfaenger
Morrissey. Und deshalb muss ich es dir wohl sagen: Ich denke, es ist nur fair, wenn ich dir sage, Morrissey, dass ich aus einem ganz andern Grund hergekommen bin! Ich bin nach Grimsby gekommen, weil ich … dich hinter mir lassen wollte!
Morrissey, es tut mir Leid! Es tut mir wirklich sehr, sehr Leid!
Aber ich kann nichts dafür, Morrissey.
Ich bin einfach erschöpft. Es hat mich zu viel Anstrengung gekostet, nicht normal zu sein, ständig kritisiert und abgelehnt zu werden, die spöttischen Blicke und Bemerkungen, das höhnische Grinsen zu ertragen; die Isolation und die Einsamkeit.
Morrissey, ich kann ganz gut allein sein. Ich finde es eigentlich gar nicht schlimm, allein zu sein. Aber gewünscht hab ich es mir nie. Es hat sich einfach so ergeben. Und ich hab versucht, das Beste draus zu machen. Dabei hast du mir geholfen, Morrissey. Und in gewisser Weise war es okay, dass ich mich einsam und missverstanden fühlte, denn ich hatte ja meine Liebe zu dir und alles, was damit zusammenhing: die Schallplatten, Poster und Videos und all die Erinnerungen und Erinnerungsstücke. Die besaß ich ja in Hülle und Fülle.
Aber manchmal dachte ich auch über die Zukunft nach, Morrissey. Und dann bekam ich es mit der Angst zu tun. Denn natürlich ist es völlig okay, wenn man sich mit neunzehn Jahren ein bisschen einsam fühlt; da kann man diese Einsamkeit ja noch cool und trotzig und irgendwie geheimnisvoll zur Schau tragen; so als hätte man sich bewusst dafür entschieden. Aber wenn man dann irgendwann mal nicht mehr neunzehn ist, Morrissey, wenn man dann irgendwann älter wird und immer noch einsam in seinem Zimmer rumhockt, mit einer tollen Sammlung von Smiths- und Morrissey-Memorabilia, was dann? Ich hab sie gesehen, Morrissey, ich hab sie auf Morrissey-Treffen gesehen, wo sich deine ganzen Fans versammelten, um dir und The Smiths zu huldigen. Ich hab sie gesehen, die älteren Fans, die Fans der ersten Stunde, die Fans, die dabei waren, als ihr, du und The Smiths, gerade erst angefangen hattet und sie erst neunzehn oder Anfang zwanzig waren. Damals müssen sie super gewesen sein, diese Fans, Morrissey, mit ihren Stirnlocken, dem schüchternen Lächeln, der Fleisch-ist-Mord- und Morrissey-Mania. Sie müssen herrlich ausgesehen haben in ihrer selbst gewählten Einsamkeit, ihrer abgedrehten Nicht-Normalität und abgehobenen Indie-Überlegenheit. Aber als sie dann zehn Jahre später immer noch auf Fanclub-Treffen rumhingen, mit welk und schütter gewordener Stirnlocke, da wirkten diese Fans nur noch jämmerlich und irgendwie unglaubwürdig, und ihre rätselhafte Einsamkeit glich eher stiller Verzweiflung. Und weißt du, was mir da für ein Gedanke kam, Morrissey? Mir kam der Gedanke, dass du solche Fans bestimmt verachtest . Fans, die dir so ergeben sind, dass sie in der Falle sitzen, gefangen in ihrer eigenen Götzendienerei; Fans, die sich krampfhaft an diese abgöttische Verehrung klammern, weil sie nicht loszulassen wagen; denn sonst hätten sie vielleicht entdeckt, dass sie unabhängig von dir, Morrissey, und außerhalb der Mauern ihres eigenen Bewusstseins gar nicht existieren. Und deshalb sind sie immer noch da, auf allen Konzerten, allen Fanklubtreffen, mit den richtigen Büchern, den seltenen Platten und Fotos, den richtigen Posen und korrekten Meinungen, den richtigen Fakten, Daten und Zahlen, Diskographien, Biographien, Trivia und Morrissey-Geschichten; die Fans, die dir eine Idee zu lange gehuldigt haben, Morrissey; die Fans, deren Liebe so armselig und bedürftig ist, dass sie blind sind für diesen Ausdruck in deinen Augen, Morrissey: den Ausdruck gequälter Verachtung .
Und deshalb musst du verstehen, Morrissey, dass ich das alles nicht nur für mich selbst getan habe; ich tu das auch für dich, Morrissey. Weil ich mir geschworen hab, dir das niemals anzutun, zu einem Fan zu werden, dem du nur noch mit Verachtung begegnen kannst.
Ich tu es also für uns beide, Morrissey, für mich und für dich.
Und jetzt versuch ich einfach weiterzumachen. Deshalb trage ich diese blöden Jeans, das T-Shirt und die robusten Arbeitsstiefel. Und obwohl mir beim Gedanken an diesen Job eigentlich graust und ich ein bisschen Angst davor hab, werd ich versuchen, mein Allerbestes zu geben. Wer weiß, Morrissey, vielleicht gefällt mir der Job ja mit der Zeit. Und wenn er mir Spaß macht und ich Freunde finde, dann lern ich ja vielleicht auch irgendwann ein Mädchen kennen. Dann werd ich vermutlich so glücklich sein, dass ich
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