Der Fliegenfaenger
Nach dem, was Onkel Jason erzählt hatte, war es ein mörderischer Job, Fertigbeton zu schippen. Es sieht zwar kinderleicht aus, ist aber extrem anstrengend, und man kann keine Sekunde verschnaufen, weil es so schnell geht und man die Masse verarbeiten muss, solange sie noch feucht ist. Deshalb hatte Onkel Jason ja auch gesagt: »Ich denk mal, anfangs lassen die dich was Leichteres machen, Tee kochen, Schubkarre schieben und so, bis du ein paar Muskeln aufgebaut hast. Mit diesen Streichholzärmchen hältst du’s beim Fertigbeton keine halbe Stunde durch.«
Ich wollte mich bestimmt nicht drücken oder beschweren, Morrissey, aber ich schlug dem Kapo vor: »Könnte ich nicht erst mal was anderes machen? Mein Onkel hat gemeint, ich hab noch nicht genügend Muskeln für den Fertigbeton, und da sollte ich vielleicht erst mal welche aufbauen.«
Er starrte mich entgeistert an. Und nachdem er sich wieder gefasst hatte, schimpfte er: »Hey, was glaubst du, wo du hier bist, Bursche? Im Fitnessstudio? Das hier ist’ne Baustelle , verdammt noch mal! Dein Onkel! Dein Onkel! Vergiss deinen scheiß Onkel! Ich bin hier der Kapo.Von mir aus kann dein Onkel sonst wem in den Arsch kriechen, so lang ich hier der Kapo bin, sag ich, wo’s langgeht! Also, entscheide dich!« Und mit diesen Worten warf er mir einfach die Schaufel zu. Ich wollte sie auffangen, aber sie fiel scheppernd zu Boden.
»Entweder du gehst da jetzt runter und schaufelst Beton«, sagte er, »oder du haust ab!«
Ich sah in die Baugrube runter, wo der Beton wie graue Zahnpasta aus einer riesigen Röhre floss, während mehrere Bauarbeiter mit nacktem Oberkörper in gleichem Rhythmus schippten. Es sah aus wie eine schweigende Showtanzgruppe, wie ein Trupp aneinander geketteter Sträflinge. Sie trieften vor Schweiß. Es war kurz nach acht Uhr morgens, aber die Sonne strahlte schon so sengend heiß, dass später der Straßenteer Blasen werfen würde wie Käse im Grill.
Die braun gebrannten Arbeiter starrten stinksauer zu mir rauf und murrten vor sich hin. Dann rief der Jüngste, kaum älter als ich, zum Kapo nach oben: »Hey, der soll doch nicht hier bei uns mitmachen, oder? Wir brauchen’nen richtigen Mann, nicht so’n Scheißmilchbubi!«
Ich sah ihn bloß an. Und am liebsten wär ich sofort abgehauen. Ich hatte Angst, Morrissey; Angst, dass ich mich lächerlich machen würde, dass ich zu schwach und erschöpft war und dass sie mich auslachen würden oder Schlimmeres. Aber ich wusste, wenn es ein Neuanfang werden sollte, dann musste es ein radikaler Neuanfang sein. Die kannten mich nicht, keiner von denen kannte mich hier; ich war nicht Raymond Marks, ich war niemand, nur ein neues Gesicht, mehr nicht. Die wussten nichts über mich. Und deshalb musste ich nicht Raymond Marks sein. Es war wirklich ein Neuanfang! Und deshalb bückte ich mich und hob die Schaufel auf. Ich drängte mich am Kapo vorbei, stieg in die Baugrube runter und fixierte unablässig den Arbeiter, der mich »Scheißmilchbubi« genannt hatte. Und als ich direkt vor ihm stand, sagte ich: »Okay, wo liegt dein Problem?«
Er richtete sich langsam auf. Aber ich zuckte nicht mit der Wimper, Morrissey. Ich sah genau, wie er mich taxierte und überlegte, ob er auf mich losgehen sollte. Aber dann sagte einer der älteren zu ihm: »Hey, mach weiter, verdammt noch mal. Bei so’ner scheiß Hitze bindet das in null Komma nix ab. Los jetzt.«
Der junge Arbeiter starrte mich noch einen Moment an. Dann hob er seine Schaufel, stieß sie in den flüssigen Beton und sagte zu mir: »Mein Problem, Kumpel, mein Problem ist, dass hier meine Sonderzulage auf dem Spiel steht. Und wenn wir einen am Hals haben, der’s nicht packt, macht mich das nicht gerade fröhlich, kapiert?«
Bis dahin hatte ich eigentlich noch nie gebetet, Morrissey. Aber jetzt tat ich es! Als ich die Schaufel hob und sie in den matschigen Haufen zäh fließenden Betons stieß, betete ich inbrünstig, dass ich die Kraft haben würde, die volle Schaufel wegzutragen und all das durchzustehen.
Bei den andern sah es ganz leicht aus, als schaufelten sie Luft. Aber als ich meine betongefüllte Schaufel hochhob, als ich den Kraftaufwand in den Oberarmen spürte, als ich mich bückte und wieder aufrichtete und den Beton in den Fundamentgraben kippte, als ich mich wieder umdrehte, bückte, die nächste Schaufel füllte, hob und in den Graben kippte, da wusste ich eins: Auch wenn mein Drecksonkel Jason in seinem ganzen abscheulichen Leben noch niemals
Weitere Kostenlose Bücher