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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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vermasselte. Deshalb hörte ich es erst gar nicht, als jemand was zu mir sagte. Bis ich plötzlich merkte, dass mich der Typ mit den Schlangentattoos auf den Armen fragte, wo ich herkäm. Da sie Failsworth wahrscheinlich nicht kannten, sagte ich: »Manchester.« Und sofort wollten sie wissen, zu welchem Team ich hielte. Eigentlich hätte ich ihnen gern erklärt, dass ich zu überhaupt keinem Team hielt, ja, dass ich noch nie ein Fußballspiel angeschaut hatte. Aber ich verkniff es mir und behauptete: »Manchester United.«
    Sie lachten höhnisch und dann meinte einer: »ManU? ScheißU trifft’s wohl eher!« Jetzt lachten wieder alle. Und ich wusste, dass ich jetzt kontern und irgendwas Verächtliches über ihr Fußballteam sagen musste. Aber ich hatte ja keine Ahnung, welches Team das war. Also fragte ich: »Zu wem haltet ihr denn?«
    Grimsby Town, sagten sie. Und selbst ich wusste, was in der Hierarchie des englischen Fußballs galt: Ein primitiver Grimsby-Town-Fan durfte Manchester United nicht mal erwähnen , geschweige denn beschimpfen! Aber mir fiel immer noch keine einigermaßen treffende Beleidigung ein, die ich ihnen hätte entgegenschleudern können. Und ich merkte genau, dass sie drauf warteten und dass ich jetzt unbedingt irgendwas sagen musste, wenn ich mir nicht jede Glaubwürdigkeit als Fußballfan verscherzen wollte. Und vielleicht war das der Grund, warum mir plötzlich der kleine Vers einfiel, den ich mir während der Busfahrt mit den Einzelhändlern von Grimsby notiert hatte.
    Den präsentierte ich jetzt diesen Beton schaufelnden Grimsby-Town-Fans. Ich schippte einfach weiter und sagte: »Ach, Grimsby! Ach, Grimsby! Bei Tag und auch bei Nacht ist Grimsby der Beweis dafür, dass selbst Gott Fehler macht!«
    Jetzt sahen mich alle verblüfft an. Sie ließen sogar die Schaufeln sinken! Und da merkte ich, dass ich zu weit gegangen war. Aber während sie mich noch anstarrten und ich krampfhaft überlegte, wie ich das wieder hinkriegen könnte, brachen sie plötzlich alle in Gelächter aus. Und der Ältere forderte mich sogar auf: »Sag das noch mal!«
    Ich tat es. Und als wir uns wieder an die Arbeit machten, murmelte er dauernd: »Ach Grimsby! Ach Grimsby! Bei Tag und auch bei Nacht …« Dann gluckste er vor sich hin und sagte: »Scheiße, da ist echt was dran!«
    Der Jüngere fragte mich: »Wo hast du denn das her?«
    Ich zuckte nur die Achseln und antwortete: »Keine Ahnung. Wahrscheinlich irgendwo gelesen.«
    Da nickte er und alle schaufelten schweigend weiter.
    Und ich hätte ihnen so gern gesagt, dass ich ihn selber geschrieben habe, Morrissey! Diesen Vers, der sie so erheitert hat. Dass ich ihn nicht in irgendeinem Buch gelesen, sondern mir selbst ausgedacht hatte. Ich hätte es ihnen so gern gesagt – es war das allererste Mal, dass einer meiner Texte öffentlich vorgetragen worden war!
    Aber dann wurde mir klar, dass das nicht ging. Sie würden mich entweder als Lügner oder als Sonderling abstempeln. Und außerdem war ich kein Songtexter mehr! Ich war nur der Neue mit der Schaufel. Ich schrieb keine Songtexte mehr. Es lief nicht schlecht für mich, ich würde jetzt allein zurechtkommen, als Mitglied eines Bautrupps. Ich hatte genug davon, ein Sonderling zu sein. Ich schaufelte einfach weiter und sagte kein Wort über das Schreiben von Songs.
    Ich arbeitete so, wie sie es mir gezeigt hatten: mit dem Rhythmus gehen, schaufeln, hochheben, vorbeugen, hochheben, schaufeln, schaufeln, den zähen nassen Beton … heute musste man schneller schaufeln als sonst, wegen dem Wetter, dem furchtbar heißen Wetter, der Sonne, die einem den nackten Rücken versengt, wegen der brüllenden Hitze, die dörrt und brennt, und der Beton ist in null Komma nichts steinhart und nicht mehr zu gebrauchen … keine Zeit rumzustehen und zu trödeln bei so einem Wetter, bei brüllender Hitze, wenn die Sonne dir Nacken und Rücken versengt, Beton schaufeln und Gräben füllen, bis du deinen Körper nicht mehr spürst und er nur noch eine Maschine ist; und das Bewusstsein sich auflöst, irgendwo hindriftet wie in Trance.
    Und deshalb dachte ich anfangs, es sei nur in meinem Kopf, Morrissey, denn eigentlich summe ich innerlich immer irgendeinen deiner Songs vor mich hin, ganz unbewusst. Aber dann hörte ich das Murren, das Stöhnen und das Protestgeschrei und merkte, dass es ja gar nicht deine Stimme war, sondern seine , Morrissey, die Stimme des jungen Arbeiters. Er sang beim Schaufeln vor sich hin und jetzt schrien alle:

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