Der Fliegenfaenger
aufhören, aufhören! Wenn er schon singen wolle, dann lieber was Schwungvolles und nicht diesen »traurigen Mist«.
Aber er ignorierte sie, und ich sah den schelmischen Ausdruck in seinen Augen, als er noch lauter weitersang: »I was happy in the haze of a drunken hour / But heaven knows I’m miserable now …«
Als er meinen Blick bemerkte, zwinkerte er mir lächelnd zu, während die älteren Arbeiter lautstark weiterprotestierten. Dann brach er plötzlich ab und rief: »Hört auf zu motzen, ihr seid ja alle vergreist! Ihr habt doch keine Ahnung. Das ist ein Spitzensong!« Er wandte sich wieder zu mir. »Stimmt’s?«, fragte er.
Aber ich zuckte nur die Achseln.
Da sagte er: »Machst du dir nichts aus Morrissey?«
Wieder zuckte ich die Achseln und sagte: »Ich glaub, er ist ganz okay.«
Morrissey, es tut mir Leid! Ich hätte es ihm so gern gesagt!
Aber jetzt sang er wieder: »I was happy in the haze of a drunken hour …«
Und da rotteten sich alle gegen ihn zusammen und gröhlten »Radio Gaga«, diesen blöden Queen-Song, immer lauter und lauter, bis der junge Arbeiter schließlich aufgab und schweigend weiterschaufelte.
Und ich hätte ihm so gern gesagt, dass er nicht allein war, dass es auf dieser Baustelle noch einen zweiten Fan gab.
Aber ich war ja gar kein Fan mehr, Morrissey. Ich hatte mich ja von dir losgesagt!
Der junge Arbeiter kam damit durch, er konnte ein Fan sein und es trotzdem schaffen, denn er hatte sich in der rauen Welt der Bauarbeiter schon bewährt. Aber wenn ich so dahergekommen wär, mit meiner Stirnlocke, meinem T-Shirt und meiner uneingeschränkten Hingabe an dich, Morrissey, dann hätte ich keine Chance gehabt. Und im Moment sah es doch ganz gut aus. Anscheinend schaffte ich es. Deshalb schippte ich schweigend weiter und gab mir große Mühe, meine natürlichen Instinkte zu verleugnen, Morrissey, indem ich dich ignorierte!
Ich wollte einfach nur dazugehören, mehr nicht. Jetzt weiß ich, wie jämmerlich das war. Aber während ich mit den andern zusammen Beton schaufelte, kam es mir vor, als würde ich wirklich was leisten, ja sogar gewisse Fortschritte machen. Ich weiß, das ist lächerlich, Morrissey, weil ich ja bloß einen Fundamentgraben mit Beton füllen half, während mich das Schaufeln in der sengenden Sonne so fertig machte, dass ich mich mittags kaum noch zu der Wellblechhütte hinüberschleppen konnte, die als Kantine diente. Sie war nur ein kleines Stück entfernt, aber mir kam es vor wie hundert Meilen, weil sich meine Beine anfühlten, als seien sie gelähmt. Und ich glaube, ich hätte es gar nicht geschafft, wenn ich nicht zufällig ein Gespräch zwischen dem älteren Mann und dem Arbeiter mit den Schlangentattoos belauscht hätte.
Die dachten wahrscheinlich, ich sei schon zur Kantine rübergegangen, aber in Wirklichkeit hockte ich zusammengesunken auf dem Boden hinter dem Betonmischer. Die beiden standen auf der andern Seite und wuschen sich die Hände, da hörte ich den Mann mit den Schlangentattoos zu dem Älteren sagen: »Als ich den heute Morgen gesehen hab, dacht ich, ich werd nich mehr! Aber eigentlich macht er das gar nicht so schlecht.«
»Ja«, stimmte ihm der andere zu, »ich hätte gewettet, der kann nicht mal’ne Schaufel halten und benutzen gleich gar nicht!«
Beide lachten. Und dann sagte der Mann mit den Schlangentattoos: »Na ja, wenn er sich zusammenreißt, hat er das Zeug zu’nem richtig guten Bauarbeiter!«
Morrissey, ich weiß, dass ich dumm war! Mir ist es richtig peinlich, dir überhaupt davon zu erzählen. Aber als ich die beiden so reden hörte, empfand ich fast so etwas wie Stolz! Ich weiß wirklich nicht, was mit mir los war, aber als ich mich aufrappelte und zur Kantine schleppte, hatte ich irgendwie das Gefühl … dazuzugehören; Teil von etwas zu sein!
Und vielleicht wär mir das geblieben, Morrissey; dieses Gefühl, etwas zu erreichen oder mich zumindest in meinem Job zu bewähren. Aber schon als ich auf die Wellblechhütte zuwankte, fühlte ich mich ein bisschen schwindlig und benommen. Ich zitterte wie ein Wackelpudding, als hätte ich meine gesamte Energie verbrannt und könnte sie nur dadurch wieder zurückkriegen, dass ich mir den Bauch voll schlug. So wie die Tour-de-France-Teilnehmer, nachdem sie über die Pyrenäen gestrampelt sind und ihre ganze Energie verbrannt haben, Marsriegel essen müssen, damit das Zittern aufhört. Und ich dachte, bei mir sei es das Gleiche, mir sei einfach nur schwindlig, weil mir der
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