Der Fliegenfaenger
Recht gehabt hatte – das, was er übers Betonschippen gesagt hatte, stimmte hundertprozentig. Die einzelne Schaufel war nicht mal so besonders schwer. Es war die Häufung, als forderten all die Schaufeln zusammen ihren Tribut, als dehnten sie die Muskeln, als saugten sie einem langsam die Kraft aus den Knochen, während einem die sengende Sonne auf Nacken und Rücken brannte.
Keiner sprach mit mir. Keiner sagte ein Wort. Und ich war froh drüber, weil ich jedes Quäntchen Kraft brauchte, um wenigstens den Versuch zu machen mitzuhalten. Ich weiß, ich war nicht sehr gut, Morrissey, jedenfalls nicht im Vergleich zu den andern Arbeitern mit ihren Muskelpaketen und romantischen Tattoos. Das Schlimmste war, dass mir dauernd der Schweiß über die Stirn lief und in den Augen brannte, sodass ich mir immer wieder mit dem Pullunder die Augen wischen musste, um überhaupt was zu sehen. Ich weiß, ich war nicht sehr gut. Aber zumindest gab ich mein Bestes. Und zumindest lästerten sie nicht über mich und verarschten mich nicht. Ich kam zu dem Schluss, dass sie mich jetzt einfach links liegen ließen. Deshalb merkte ich es erst gar nicht, als der Ältere etwas zu mir sagte. Aber dann klopfte er mir auf den Arm und ich sah, dass er mir einen Lappen hinhielt. Er zeigte mir mit einer Geste, dass ich mir den Lappen um die Stirn binden sollte. Ich wollte gerade sagen, dass es schon schlimm genug sei, ein Bruce-Springsteen-T-Shirt anzuhaben, ohne zusätzliches Willie-Nelson-Stirnband.
Aber da nickte er mir zu und erklärte: »Hält den Schweiß aus den Augen.«
Darum sagte ich nichts, Morrissey. Ich nickte ihm gleichfalls zu und wollte mich bedanken, aber da schaufelte er schon weiter. Ich legte eine Pause ein und band mir den Lappen um, dankbar für diese Freundlichkeit und dankbar für die Verschnaufpause, für diese wenigen Sekunden, in denen ich meinen Rücken aufrichten konnte und meine Arme nicht die Schaufel halten mussten. Ich benutzte die Gelegenheit, um erst mal meinen tropfnassen Pullunder auszuziehen. Aber da merkte ich plötzlich, dass meine Finger unkontrolliert zitterten. Ich konnte mir kaum das Stirnband umbinden. Und dann, als ich es endlich geschafft hatte und wieder zur Schaufel griff, bereute ich fast die Unterbrechung, denn nach dieser winzigen Pause kam mir alles doppelt so schwer vor und noch zehnmal mörderischer als vorher. Vielleicht zuckte es deshalb in meinem Gesicht, als ich wieder zu schaufeln begann. Und da merkte ich, dass mich der jüngere Arbeiter beobachtete. Ich rechnete eigentlich damit, dass er mich gleich auslachen oder noch mal was von seiner Sonderzulage sagen würde und dass ich alle nur aufhielt. Aber er schwieg; und obwohl ich mir nicht ganz sicher war, glaube ich, er nickte mir unmerklich zu. Ich schaufelte verbissen weiter.
Bis ich jemand sagen hörte: »Einfach schwingen lassen.«
Ich schaute hoch und da stand der junge Arbeiter vor mir. Er meinte mich. »Nicht reinstoßen«, sagte er. »Überlass die Arbeit der Schaufel. Lass sie schwingen.«
Er zeigte mir, was er meinte. Er schwang die Schaufel mühelos, und sie glitt in den Beton wie ein Messer in Butter, und sein Körper folgte der Bewegung, die gefüllte Schaufel hob sich, er drehte sich um und ließ den Beton in den Graben gleiten und das alles in einer einzigen anmutigen, fließenden Bewegung. Ich versuchte die Schaufel genauso schwingen zu lassen, wie er es mir erklärt hatte, und dabei mit dem ganzen Körper mitzugehen. Dann hörte ich einen anderen Bauarbeiter sagen: »Schon besser! Versuch auf keinen Fall, gegen dieses Scheißzeug anzukämpfen, dann macht’s dich fertig. Arbeite mit ihm.«
»Genau!«, sagte der jüngere. »Bleib einfach im Rhythmus. Dann geht’s leichter!«
Ich nickte und versuchte es genauso zu machen wie er und die andern. Natürlich konnte ich trotzdem nicht so recht mithalten. Aber wenn ich es so machte wie die andern und mit dem Rhythmus ging, den Rhythmus spürte , dann hielt ich weiter durch. Auch wenn ich mich nachher kaputter fühlen würde als je in meinem ganzen Leben, wusste ich jetzt doch, dass ich es durchstehen konnte. Und ich glaube, die andern merkten es auch, denn allmählich wurden sie ein bisschen entspannter. Sie arbeiteten zwar genauso hart weiter, aber sie unterhielten sich dabei und lachten. Und ich war froh. Sie redeten zwar nicht mit mir, aber wenigstens vergaßen sie mich jetzt einfach, statt sauer zu sein und ständig dran zu denken, dass ich ihnen die Sonderzulage
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