Der Fliegenfaenger
würde, wenn er jetzt in die Rolle des Opfers schlüpfte.
Und Albert Goldberg schluckte und verriet dem Neuen Schulleiter, was letztlich der Wahrheit entsprach: »Raymond Marks, Sir. Raymond Marks hat damit angefangen.«
Der Neue Schulleiter lächelte und nickte bedächtig. »Raymond Marks«, sagte er mit einem zufriedenen Seufzer. »Raymond Marks! Ich hab’s doch gewusst, dass mir dieser Name noch einmal begegnen würde: Raymond James Marks.«
Und so hat es angefangen, Morrissey. So hat alles angefangen. So begann mein rasanter Abstieg vom frisch gebackenen Schulhelden zum frühreifen Perversen mit dem schlechten Einfluss, zum schweinischen Scheusal, das unschuldige Kinder mehrfach zur sadistischen Massenmasturbation am Ufer des Rochdale Kanals gezwungen hatte.
Wenn der Neue Schulleiter nicht an unsere Schule gekommen wär, wenn wir keine Fliegen gefangen hätten, dann wär ich auch nie auf der Sonderschule gelandet. Ich wär nie so dick geworden, hätte keinen Ladendiebstahl begangen, hätte nie Malcolm erfunden und wär meiner Mam nie solch eine Last gewesen. Es war alles nur ein Spiel. Aber niemand glaubte mir. Wenn man mir geglaubt hätte, wär alles anders gekommen. Und wenn Paulette nicht verschwunden wär.
Aber darüber kann ich dir jetzt nichts erzählen, Morrissey. Der Stationsvorsteher hat mich nämlich gerade aufgefordert, meine Sachen zusammenzupacken. Die Polizei sei da und warte vor dem Bahnhof auf mich. »Komm mit«, hat er gesagt, »ich mach jetzt Feierabend und übergeb dich draußen noch schnell den Bobbys.«
Die werden im Computer alle Fakten nachgelesen haben; alles über den Kanal und dass ich in Swintonfield gewesen bin. Und was mit der kleinen Paulette passiert ist. Aber Fakten sind nicht die Wahrheit, Morrissey. Deshalb hab ich dir hier die Wahrheit erzählt, so weit es ging. Ich weiß, dass du mich verstehen wirst, Morrissey; im Gegensatz zur Polizei. Die Polizei versteht mich nicht. Die Polizei hat gesagt, ich hätte durch obszönes Verhalten öffentlich Anstoß erregt. Morrissey, aber das stimmt nicht, das ist überhaupt nicht wahr! Doch wenn die das erst mal alles im Computer nachgelesen haben, werden sie mir auf keinen Fall glauben.
Mit freundlichen Grüßen
Raymond Marks
In einem Bus,
unterwegs
nach Huddersfield,
West Yorkshire
Lieber Morrissey,
ich kann es kaum fassen! Ich bin noch mal davongekommen! Wie du obiger Adresse entnehmen kannst, hat man mich in Halifax doch nicht verhaftet und eingesperrt. Die Polizei hat gar nicht auf mich gewartet. Weil der Stationsvorsteher die Polizei gar nicht angerufen hat! Er hat nur so getan. Er wollte mir nur einen Schrecken einjagen, damit ich nie mehr eine solche Dummheit begehe. Er hat gesagt, ich sähe wie ein total beschränkter Volltrottel aus, dem man mal eine Lektion erteilen muss.
»Tja«, sagte er, »hast ziemlich Schiss gehabt, wie?«
Ich nickte schweigend, denn er hatte vollkommen Recht.
»Also!«, sagte er und zeigte mit dem Finger auf mich. »Wenn dir wieder so ein saudummer Einfall kommt, denk dran, was für eine Angst du in meinem Büro ausgestanden hast, als du dachtest, die Bobbys nehmen dich mit und sperren dich ein!«
Ich versprach, dran zu denken, und erklärte ihm dann, dass ich nie auf die Idee gekommen wär, schwarz zu fahren, wenn man mir nicht mein ganzes Geld gestohlen hätte.
Wir standen jetzt vor dem Bahnhof und er öffnete eine Dose Golden Virginia und drehte sich eine Zigarette. Er hielt mir die Dose hin, aber ich sagte, ich sei Nichtraucher. Während er die Zigarette anzündete, wies er mit einem Nicken auf mein T-Shirt und sagte: »Wie lange stehst du denn schon auf Morrissey?«
»Seit ein paar Jahren«, sagte ich.
Er nickte. Dann zog er tief an seiner Selbstgedrehten und starrte in die Ferne. »Ja, Morrissey – gar nicht so schlecht«, sagte er lachend. Und dann: »Kannst verdammt froh sein, dass du kein T-Shirt mit den Pet Shop Boys anhast, sonst hätt ich dich wirklich einsperren lassen.«
»Wenn ich ein T-Shirt mit den Pet Shop Boys anhätte, würde es mich auch nicht wundern, dass man mich einsperrt!«, erwiderte ich.
Wieder inhalierte er tief. »Auf Frank Zappa stehst du wohl nicht?«, fragte er dann.
»Nein«, erwiderte ich. »Ich hab mir ein paar von seinen Sachen angehört, aber ich könnte nicht sagen, dass ich auf ihn stehe .«
Der Stationsvorsteher starrte mich mit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung an, schüttelte langsam den Kopf und intonierte leise: »Zappa, vergib
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