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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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Löcher im Teppich noch größer und musste meine Mam noch länger im KwikSave arbeiten, um uns alle über Wasser zu halten. Und da kam meiner Mam zum ersten Mal der Gedanke, dass dieser Mann mit der Musik im Herzen vielleicht auch ein Mühlstein um ihren Hals war.
    Sie habe ja wirklich keine großen Ansprüche gehabt, sagte meine Mam. Sie wollte keinen Whirlpool und keinen Wintergarten, sie wollte keine Vorhänge mit elektronischer Schließung. Sie wollte keinen Einbauherd und keine Dusche; eine Badewanne habe ja völlig für uns gereicht; sie wünschte sich weder einen Wäschetrockner noch einen großen Gefrierschrank voll tiefgekühltem Schweinefleisch, keinen Garten mit Springbrunnen und nicht mal einen Rasen mit schönen breiten Streifen. Um Luxus, sagte meine Mam, sei es ihr nie gegangen. »Luxus, das sind Dinge, die man im Grunde nicht braucht.«
    Aber, sagte sie, manchmal hätte sie sich einfach gern umgeschaut und etwas erblickt, was ihr Hoffnung für die Zukunft schenkte; etwas, an dem sie gemerkt hätte, dass nicht alles zum Stillstand gekommen war; ein einfaches Stück Rasen, sagte meine Mam, nichts Ausgefallenes, bloß so ein Viereck, ein kleines Fleckchen Grün, wo man im Sommer draußen sitzen kann, wo sich die Wäsche im Wind bläht, ohne staubig zu werden, wo die Amseln und Schwalben Brotkrumen picken und man an warmen Nachmittagen den Kinderwagen ins Freie stellen kann.
    Und mein Dad hatte wirklich die allerbesten Vorsätze und versprach meiner Mam einen schönen Rasen. Und nachdem er das Geld zusammengespart hatte, rief er einen Farmer an, der sagte: »Ja, ich hab schönen Fertigrasen zu verkaufen.« Mein Dad wollte gleich am nächsten Tag vorbeikommen und ihn sich anschauen. Und mein Dad konnte nichts dafür. Er hatte wirklich nicht vor, sein Wort zu brechen und meine Mam aufzuregen. Aber als er mit dem Farmer in dessen Haus stand und sich mit ihm über den Rasen unterhielt, entdeckte mein Vater plötzlich an der Wand ein fünfsaitiges Vega-Langhalsbanjo; es war mit Schweinehaut bespannt und hatte versilberte Spannschrauben. Die Stimmwirbel waren aus Mahagoni geschnitzt, das Rosenholzgriffbrett mit feinen Perlmuttintarsien verziert – die glänzten und schimmerten und blendeten meinen Dad, der prompt den Fertigrasen vergaß.
    Ganz stolz und aufgeregt kam er mit dem Banjo – aber ohne Rasen – nach Hause wie Hans im Glück, wie das Sterntalermädchen. Und er sagte zu meiner Mam: »Schau dir das Pergament an, fahr mal über das Griffbrett – weicher als Seide! Und schau nur, wie die Intarsien leuchten, wenn das Licht darauffällt, das blendet einen richtig! Und schau dir den Hals an – er ist …« Aber meine Mam unterbrach ihn. Sie sagte ruhig: »Johnny, du wolltest doch eigentlich Rasen kaufen.«
    Mein Dad küsste meine Mam und sagte, sie solle sich keine Sorgen machen. Jetzt habe er endlich das Instrument gefunden, das alles zum Guten wenden werde, und sobald er es beherrsche, das Stimmen, den Fingersatz, die Spieltechnik und so weiter, würden die Leute viel Geld dafür bezahlen, ihn spielen zu hören, und dann würde er meiner Mam nicht bloß ein kleines Eckchen Rasen kaufen; nein, er würde ihr eine ganze Wiese verschaffen, eine Wiese, die zu einem Fluss hinabführt, mit schönen breiten Streifen kreuz und quer drüber; und meine Mam würde leben wie die Made im Speck, mit all den schönen Dingen, die sie eigentlich schon immer verdient hätte. Dann würde für uns alle immer die Sonne scheinen, sagte mein Dad, und er würde das fünfsaitige Langhalsbanjo erklingen lassen.
    Meine Mam wurde nicht laut, sie schrie ihn nicht an; dafür sei sie viel zu erschöpft gewesen, meinte sie später. Sie öffnete einfach nur die Tür und sagte: »Tschüss, Johnny! Ich pack deine Sachen zusammen und schick sie deiner Mutter.«
    Mein Dad stand da und runzelte die Stirn. In seinem Gesicht spiegelte sich blanke Verwirrung. Aber meine Mam war fest entschlossen, es gab kein Zurück mehr. Meine Mam sagte, ihr Herz sei zu müde gewesen, um zu brechen, als meinem Dad langsam die Wahrheit dämmerte; er verlegte sich aufs Bitten, suchte nach Erklärungen und fragte meine Mam nach dem Warum, aber meine Mam schüttelte nur den Kopf. Und sie sagte kein Wort, weil Worte nichts bewirkt hätten, so wie sie auch in der Vergangenheit nie etwas bewirkt hatten. Und mein Vater – ein sanfter Mensch, in dessen Herz immer noch Unmengen von Melodien schlummerten – nickte. Und er sagte bloß: »Es tut mir Leid. Es tut mir

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