Der Fliegenfaenger
Du hast ihr schon genügend Aufregung beschert, das reicht für ein ganzes Leben. Und deshalb fährst du jetzt nach Grimsby, Bürschchen, deiner Mutter zuliebe. Glaubst du, ich hab das für dich getan? Glaubst du vielleicht, ich hab dir zuliebe jemanden um diesen Job gebeten? Ganz sicher nicht, Bürschchen! Du bist überflüssig wie ein Kropf, und zwar schon seitdem du auf der Welt bist! Ich tu das alles nicht für dich, sondern nur für deine Mam. Weil ich meine kleine Schwester liebe.«
Ich schloss einfach die Augen. Es war unerträglich! Ich konnte sein Gewäsch nicht mehr ertragen. Es verpestete mein Zimmer und kroch mir über die Haut; mir wurde ganz schlecht.
»Du hast ihr schon oft genug das Herz gebrochen«, sagte er. »Und wenn man dich dir selber überlässt, wirst du es zweifellos immer wieder tun!«
In diesem Moment hasste ich ihn am allermeisten – als er mir vorheuchelte, er mache sich etwas aus meiner Mam. Er machte sich nämlich überhaupt nichts aus ihr, hatte sich noch nie etwas aus ihr gemacht und würde sich auch nie etwas aus ihr machen, und das Einzige, was er seit jeher getan hatte, war andere beklauen und berauben und betrügen. Ich biss die Zähne zusammen, ballte die Fäuste und zitterte vor Wut über seine ekelhafte Heuchelei und sein schleimiges Gesülze und plötzlich begann ich leise vor mich hin zu singen: »Dieb, Dieb, Dieb, Schuft, Betrüger, Schwindler, Dieb, Dieb, Dieb, Gauner, Räuber, Dieb, Dieb, Dieb, Dieb.«
Er ging langsam zur Tür, aber ich sang immer weiter, bis er die Tür erreicht hatte. Ich stand mit geballten Fäusten da, immer noch zitternd, und starrte ihn hasserfüllt an. Jetzt hatte er Angst vor mir, das sah ich an seinem Blick. Aber er tat, als hätte er keine, nickte mir nur zu und sagte: »Du solltest dich wirklich zusammenreißen. Sonst sehe ich schwarz mit Grimsby; am Ende landest du wieder in Swintonfield!«
»Dieb!«, sagte ich. »Dieb, Dieb!«
Und dann war er weg. Endlich, endlich war er weg! Ich rannte zum Fenster, riss es weit auf und atmete tief ein. Die frische Luft vertrieb die ekelhafte Atmosphäre, die mein schändlicher, schurkischer Drecksonkel Jason zurückgelassen hatte.
Und da hörte ich meine Mam rufen, ich solle ins Wohnzimmer runterkommen, um mich von Onkel und Tante zu verabschieden. Als ich reinkam, hatte mein Drecksonkel Jason sein anderes Gesicht aufgesetzt; er lächelte so freundlich und onkelhaft, dass sich mir fast der Magen umdrehte. Ich stand einfach in der Tür und beobachtete, wie sich die beiden Kotzbrocken von meiner Mam verabschiedeten. Und ich sagte mir, Grimsby mag vielleicht ein Alptraum sein, aber wenigstens muss ich dort meinen Drecksonkel Jason und meine fürchterliche Tante Fay nicht mehr sehen.
Doch an der Tür drehte sich dieser dreckige Heuchler von Onkel noch einmal um und sagte: »Also, Raymond, dann bis nächste Woche! Ich hab was in Grimsby zu erledigen und bin am Mittwoch selbst auf der Baustelle.«
Tante Fay klatschte in die Hände und sagte, sei das aber mal nett! Vielleicht hätte ich ja dort ein bisschen Heimweh und würde mich freuen, meinen Lieblingsonkel zu sehen.
»Ich schau einfach mal auf der Baustelle vorbei«, sagte er. »Wie’s dir so geht. Und ich hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn du mich abends zu einem Bierchen und’ner Portion Kabeljau einlädst!«
Ich starrte ihn sprachlos an und hörte meine Mam sagen, das sei ja wirklich sehr, sehr lieb von Onkel Jason und sie wolle doch schwer hoffen, dass ich ihn zum Abendessen einladen würde, wo er keine Mühe gescheut habe, mir einen Job zu verschaffen!
»Das war keine Mühe, Shelagh!«, sagte er und strahlte meine Mam an.
»Nein, wirklich nicht«, pflichtete ihm Tante Fay bei. »Das ist doch eine Kleinigkeit, wenn man Beziehungen hat, so wie Jason.«
Jetzt sahen sich die beiden strahlend an, meine blasierte Tante und mein schweinsgesichtiger Onkel. Und vielleicht wären sie den ganzen Abend so stehen geblieben, wenn meiner fürchterlichen Tante Fay nicht plötzlich eingefallen wär, dass sie sich beeilen mussten, weil ihr Wellensittich um diese Zeit sein Antidepressivum brauchte.
Ich schaute ihnen stumm nach, als meine Mam sie hinausbegleitete. Dann kam meine Mam ins Wohnzimmer zurück, lächelte mich liebevoll an und sagte: »Ich freu mich ja so für dich, mein Junge! Ich freu mich ja so!«
Und deshalb bin ich jetzt hier, Morrissey, und warte auf den Bus, der mich in die Horror-Hauptstadt des Kabeljaus bringen soll; ich bin hier,
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