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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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um als Sklaven im grausigen Gulag Grimsby zu schuften! Aber so weit würde es nie kommen; denn seiner eigenen grässlichen Brut würde er niemals antun, was er mir angetan hat. Mein Drecksonkel Jason konnte mich noch nie leiden. Schon als ich klein war, konnte er mich nicht ausstehen, weil er wusste, dass ich der Liebling meiner Oma war und dass sie Berney und Dolly nicht leiden mochte. Meine Oma sagte immer, bei Berney und Dolly würde sogar ein Pädophiler dankend abwinken. Sie sagte auch immer, die beiden seien viel zu oberflächlich und würden sich dauernd wie Kinder benehmen. Und deshalb hat sie die zwei nie an ihre Lieblingsorte mitgenommen. Meine Oma meinte, sie hätten einfach nicht den nötigen Ernst und von ihren drei Enkeln sei ich der einzige mit der richtigen Veranlagung und dem nötigen Ernst für Friedhöfe, Bibliotheken und ähnliche Totengedenkstätten. Ich fand es herrlich, wenn meine Oma mich in die Bibliothek mitnahm. Sie erzählte mir dann immer wahnsinnig interessante Dinge über Leute wie Thomas Hardy – den Meister des Elends – und George Bernard Shaw und Daphne du Maurier.
    Aber Berney und Dolly nahm meine Oma nie in die Bibliothek mit, ihnen erzählte sie nie so interessante Dinge über Thomas Hardy. Sie hat mir erzählt, einmal hätte sie die beiden mitgenommen in der Hoffnung, dass die spürbare Aura, die in dieser erhabenen Kathedrale der Worte herrschte, sie gebührend beeindrucken würde. Aber Blödmann Berney quengelte bloß die ganze Zeit rum, ihm sei langweilig, und die Dämliche Dolly sagte, von dem ekligen Geruch würde ihr schlecht und ob sie nicht lieber in den Streichelzoo gehen könnten. Aber meine Oma blieb standhaft und erzählte dem Doofen Duo von Robert Louis Stevenson, der immer noch weiterschrieb, obwohl seine tuberkulöse Lunge sich allmählich in eine schleimige, breiige Masse verwandelte; und sie erzählte ihnen von Karl Marx, der nie Geld besaß und mit seiner Frau und sämtlichen Kindern in einem Zimmer lebte, knapp so groß wie ein Besenschrank, und alle starben weg, einer nach dem andern.
    Aber die Dämliche Dolly sagte, ihr sei immer noch schlecht, und Blödmann Berney fragte, ob sie nicht lieber ins Kino gehen könnten! Also erzählte ihnen meine Oma alles über die Brontë-Schwestern, die nie geheiratet hatten und alle ungewöhnlich früh auf tragische Weise zu Tode kamen, weil nämlich ihre Trinkwasserleitung durch den nahe gelegenen Kirchhof führte, sodass die Brontë-Schwestern in jeder Tasse Tee und jedem Glas selbst gemachtem Stachelbeerwein winzige Teilchen von verwesenden Leichen mittranken. Aber Dolly und Berney waren wild entschlossen, sich auf keinen Fall beeindrucken zu lassen, und irgendwann setzte sich Dolly ab und schlenderte zwischen den Regalen entlang, während meine Oma Blödmann Berney lauter wahnsinnig interessante Sachen über Branwell Brontë erzählte, der drogensüchtig und alkoholabhängig war, und sie sagte, Berney könne es sich vielleicht nicht vorstellen, aber sehr viele Schriftsteller seien drogensüchtig und alkoholabhängig. Doch bevor sie von weiteren drogensüchtigen Dichtern berichten konnte, zum Beispiel Robert Burns oder Lord Byron, hörte meine Oma ein würgendes Geräusch und sah, dass sich die Dumme Dolly in der Sachbuchabteilung übergab. Meine Oma rannte durch die Regalreihen und rief: »Um Himmels willen, Kind, man kotzt doch nicht auf Götter, Gräber und Gelehrte !«
    Von da an nahm meine Oma Berney und Dolly nie mehr an einen ihrer Lieblingsorte mit. Nur mich. Und einmal sagte sie zu mir, dass ich ihrer Vorstellung von einem Sohn näher gekommen sei als ihr eigentlicher Sohn. Deshalb hat er mich immer gehasst, mein Drecksonkel Jason; weil er wusste, dass ich der Liebling meiner Oma war.
    Und dafür rächt er sich jetzt nach all den Jahren an mir; deshalb hat er dafür gesorgt, dass ich nach Grimsby muss.
    Er sagte, in Grimsby würde es mir bestimmt prima gefallen! In Grimsby gäb es die besten Fish & Chips der Welt.
    »Na, das ist natürlich was anderes!«, erwiderte ich. »Ich hatte schon gedacht, diese traurige Trawler-Stadt am fernsten, frostigsten Rand der Nordsee könnte mich langweilen oder deprimieren. Aber ich hatte die Fish & Chips vergessen! Falls mich diese trostlose Trawler-Stadt irgendwann mal langweilen oder frustrieren sollte, falls ich mich dort je einsam, verbannt, isoliert, wie auf dem Abstellgleis oder in der Falle fühlen sollte, kann ich mir ja einfach eine Portion Fish & Chips

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