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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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nicht sein, weil ich doch gar nicht dick war. Ich war noch nie dick gewesen!
    Also ging ich weiter und dachte, vielleicht war es ein bisschen dumm von mir gewesen, es ausgerechnet mit Plastic Man und der Purpurplanet zu versuchen, weil doch jeder wusste, Plastic Man und der Purpurplanet gab es nirgends, nicht mal in New York, so selten und kostbar waren die Hefte. Und das hatte natürlich auch Geoffrey Weatherby gewusst, deshalb war er einfach davongeradelt. Aber egal; dann würde ich eben morgen Abend noch mal auf ihn warten und lachend rufen, das mit Plastic Man und der Purpurplanet sei bloß ein Scherz gewesen. Ich war mir ganz sicher, dass alles wieder in Ordnung kommen würde. Und als ich an der Eisenbahnbrücke vorbeiging, war ich mir immer noch sicher. Aber dann sah ich aus den Augenwinkeln, dass die Erde am Fuß des Damms frisch aufgegraben war. Und dann stand ich da und starrte auf die dunkle, aufgewühlte Erde und die zerrissenen Papierfetzen des hoch heiligen Geheimdokuments.
    Ich weinte nicht. Noch nicht. Ich ging einfach nur nach Hause, mit dem seltsamen, noch nie erlebten Gefühl, innerlich vollkommen leer zu sein. Ich hatte nicht mal das Bedürfnis zu weinen, noch nicht. Ich wollte weder weinen noch reden noch sonst irgendwas. Ich wollte mich einfach nur auflösen, verschwinden. Aber als ich zu unserem Haus kam, konnte ich nicht verschwinden. Denn da stand meine Mam gerade in der Küche und kochte Tee für Onkel Jason und Tante Fay, die soeben mit ihrer grässlichen Brut zu Besuch gekommen waren. Und ich sah gleich, dass meine Mam sauer war. Meine Mam war schon seit Wochen sauer auf Onkel Jason, weil sie wusste, dass er sich von meiner Oma Geld geliehen hatte. Er hatte behauptet, das Geld sei für ihren reinrassigen Labrador bestimmt, der eine lebensrettende Gallenblasen-Tranplantation bräuchte; das wär ja in Ordnung gewesen, sagte meine Mam, obwohl man dem Hund schon auf den ersten Blick die Promenadenmischung ansah, die sich ihre Labrador-Ahnen höchstens anmaßte. Aber egal, sagte meine Mam, ob reinrassig oder Promenadenmischung, Hund bleibt Hund, und man darf ihm die neue Gallenblase keinesfalls vorenthalten.
    Doch plötzlich waren Onkel Jason, Tante Fay und ihre Kinder weg. Und meine Mam kriegte raus, dass sie Urlaub auf den Kanarischen Inseln machten. Nun waren sie zurück und standen in unserem Wohnzimmer. Sie hatten sonnengebräunte Gesichter und Onkel Jasons Nase schälte sich sogar. Meine Mam sagte, ich solle zu ihnen ins Wohnzimmer gehen, bis der Tee fertig sei.
    Als ich eintrat, lachten sie gerade über irgendwas. Bei meinem Anblick verstummten sie aber sofort und starrten mich an – mein sonnenverbrutzelter Onkel Jason, seine gegrillten Gören und meine braun gebratene Tante, dieses Quartett des Grauens -, als sei ich eine Attraktion im Zoo.
    Ich ignorierte sie einfach. Ich schaltete den Fernseher an und sah mir eine Open-University-Sendung über das intelligente Verkehrsampel-System in Pontin LeFrith an.
    Ich hörte sie hinter mir tuscheln. Und dann flüsterte Blödmann Berney seinem Dad zu: »Dad, warum ist denn Raymond so dick geworden?«
    Tante Fay schlug ihre grässliche Lache an und sagte: »Berney! Sei nicht so frech!«
    Aber da packte meine Dämliche Kusine Dolly ihre Mutter am Rock, lächelte schadenfroh und flüsterte: »Berney hat Recht, Mummy. Schau Raymond doch an!«
    Und das taten sie. Sie standen alle da und schauten mich an, während ich fernsah und mir von Herzen wünschte, sie würden endlich verschwinden.
    Plötzlich rief meine Mam aus der Küche: »Na, Jason, wie geht’s denn eurem Hund mit seiner neuen Gallenblase?«
    Aber falls meine Mam gehofft hatte, damit könnte sie meinen Drecksonkel Jason in Verlegenheit bringen, hatte sie sich getäuscht, denn er schüttelte nur traurig den Kopf und tat, als bringe er vor lauter Rührung keinen Ton raus. Deshalb rief Tante Fay: »Ja, weißt du’s denn noch nicht, Shelagh? Ich dachte, du hättest es längst gehört.« Und dann erklärte Tante Fay in feierlichem Ton: »Unser geliebter Benny ist nicht mehr.«
    »Ist nicht mehr?«, rief meine Mam überrascht. »Aber ich dachte, ihr hättet ihn zu diesem erstklassigen Tierchirurgen gebracht!«
    »Haben wir auch«, erklärte Tante Fay, »aber weißt du, Shelagh, unser Benny, der hatte einen so ausgefallenen Stammbaum, dass es da immer Probleme gegeben hätte. Der Tierarzt hat gesagt, bei einer weniger edlen Rasse hätte er jede Gallenblase vertragen. Aber unser Benny hatte eben

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